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BERICHT/201: Humanistische Lebenskunde als Alternative zum Religionsunterricht (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 84/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Humanistische Lebenskunde als Alternative zum Religionsunterricht
Verbandsaktivitäten - Widerstände - bundesweite Nachfrage

Von Gerd Eggers


Eine bundesweite Repräsentativumfrage vom Mai 2008 hat für unseren Verband sehr erfreuliche Ergebnisse gezeitigt: Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger wünscht sich Humanistische Lebenskunde als Alternative zum Religionsunterricht. Mehr als ein Drittel würden ihr Kind eher zum Lebenskunde- als zum Religionsunterricht schicken.

Nach der erfolgreichen Durchsetzung des Lebenskundeunterrichts in Brandenburg hatte die Bundesdelegiertenversammlung des HVD 2006 angeregt, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die das Projekt "Humanistische Lebenskunde" deutschlandweit vorantreiben soll. In diesem Bundesarbeitskreis sind inzwischen Mitgliedsverbände aus neun Bundesländern vertreten.


Wichtige Entscheidungen und Aktivitäten

Anträge zur Einführung des Faches in Bayern, NRW und Niedersachsen wurden 2006 eingereicht, verschiedene konzeptionelle Fragen diskutiert und Erfahrungen aus der Praxis reflektiert. Nachdem 2007 durch den damaligen Bundesvorstand Grundsätze und rechtspolitische Positionen zum Lebenskundeunterricht beschlossen wurden, verabschiedete die außerordentliche Bundesdelegiertenversammlung des HVD im Januar 2008 das Grundsatzpapier "Ethikunterricht für alle und Humanistische Lebenskunde als Alternative zum Religionsunterricht". Im März wurde ein länderübergreifender Rahmenlehrplan für Humanistische Lebenskunde als Diskussions- und Erprobungsfassung fertiggestellt. Und schließlich wurde durch die Bundesdelegiertenversammlung im Juni 2008 Lebenskunde als eine Kernaufgabe unseres Verbandes in der Bundessatzung verankert.

In den Ländern Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg fanden Informationsveranstaltungen statt und haben sich Arbeitskreise gebildet, um länderspezifische Konzeptionen für die Einführung Humanistischer Lebenskunde zu entwickeln. In Schwerin startete unter Beteiligung von Landtagsabgeordneten und des Humanistischen Verbandes im Juli 2008 eine Initiative "LER 2011", die sich für ein Pflichtfach "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" und für die Einführung von Lebenskunde als Alternative zum Religionsunterricht in Mecklenburg-Vorpommern engagieren wird.


Konservative Widerstände

Nicht unerwartet stoßen die Bemühungen um die Ausweitung des Lebenskundeunterrichts bei den christlich-konservativen Landesregierungen in NRW, Niedersachsen und Bayern auf massive Widerstände. Sie sind eher bereit, sich einem islamischen Religionsunterricht zu öffnen als einem humanistischen Unterricht. Ablehnungsbescheide, wie sie inzwischen bei den Verbänden in NRW und Niedersachsen eingingen, bringen das Bestreben zum Ausdruck, gestützt auf das Argument einer angeblichen Privilegierung von Religionsgemeinschaften durch Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes einerseits kirchliche Vormachtstellungen zu verteidigen und andererseits nichtgläubige Menschen und Weltanschauungsgemeinschaften zu benachteiligen.

In NRW musste deshalb der Verband im November 2007 die Landesregierung verklagen. Eine Klage gegen die Niedersächsische Landesregierung wird im August 2008 folgen. Beide Klagen haben - wie seinerzeit in Brandenburg - sehr gute Erfolgschancen, weil sie sich auf die Verfassungsgebote der Bekenntnisfreiheit nach Artikel 4 und der Gleichbehandlung nach Artikel 3 des Grundgesetzes stützen können.


Großes bundesweites Interesse

Unklar war bisher, wie groß die Nachfrage nach Lebenskunde über Berlin und Brandenburg hinaus sein wird. Zur Klärung wurde durch mehrere Mitgliedsverbände beim Meinungsforschungsinstitut forsa eine bundesweite Repräsentativumfrage in Auftrag gegeben. Im Mai wurden 2.110 Bundesbürger ab 14 Jahren befragt - mit sehr erfreulichen und ermutigenden Ergebnissen:

61 Prozent aller Befragten sprechen sich dafür aus, dass "das Schulfach Humanistische Lebenskunde in allen Bundesländern eingeführt und eine Alternative zum Religionsunterricht" bieten soll.
37 Prozent aller Befragten würden ihr Kind "eher am Schulfach Humanistische Lebenskunde als am Religionsunterricht teilnehmen lassen".

Nach Berechnungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland fowid würden in absoluten Zahlen in den 1. bis 4. Klassen in NRW derzeit 252.000 Kinder und in Niedersachsen 115.000 Kinder den Lebenskundeunterricht besuchen, vorausgesetzt, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben wären.


Die Praxis in weiteren Ländern hat begonnen

In Dortmund hat der Humanistische Verband NRW Anfang 2008 ein Pilotprojekt gestartet, um die konkrete Nachfrage zu bestimmen und erste pädagogische Erfahrungen vor Ort zu sammeln. Für das neue Schuljahr ist die Ausdehnung des Unterrichts auf eine weitere Schule geplant. Der Humanistische Verband Niedersachsen wird voraussichtlich einen Schulversuch für die 1.-4. Klassen beantragen. Insgesamt kann so für unseren Verband eine recht positive Zwischenbilanz gezogen werden.


Gerd Eggers ist Bildungsbeauftragter des Humanistischen Verbandes Deutschlands.

Ergebnisse der forsa-Befragung: unter www.fowid.de


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 84/September/08, S. 17-18
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
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Internet: http://www.humanismus.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009