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BERICHT/204: UN-Menschenrechtsrat - Verbot der Kritik von Religion? (diesseits)


diesseits 4. Quartal, Nr. 85/2008 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

UN-Menschenrechtsrat - Verbot der Kritik von Religion?

Von Werner Schultz


Im Jahr des 60-jährigen Bestehens der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen (10. Dezember 1948) haben die islamischen Staaten einen Kampf gegen die Meinungsfreiheit gewonnen.


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Am 28. März 2008 haben islamische Staaten, die in der "Organisation of the Islamic Conference" zusammengeschlossen sind, den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in seiner Aufgabenstellung auf den Kopf gestellt. Zur Abstimmung stand eine Resolution, in der die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden soll, wenn sie als Kritik an Religion formuliert wird. Die Diskussion über Religionen soll zukünftig im Menschenrechtsrat nicht mehr erlaubt sein.

Die "Organisation of the Islamic Conference" repräsentiert 57 islamische Staaten und steuert die politische Vertretung in internationalen Organisationen. So auch im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen.

Der ehemalige Vorsitzende der "Internationalen Humanistischen und Ethischen Union" (IHEU) Roy Brown bezeichnet das Ergebnis der Abstimmung als "den Tod der universalen Menschenrechte".

Die islamischen Staaten, von denen viele nicht gerade als Befürworter der Menschenrechte gelten, haben es geschafft, dass über die Scharia und ihre Forderung nach Steinigung von Ehebrecherinnen, dem Erhängen von Homosexuellen oder der Verheiratung von neunjährigen Mädchen nicht mehr gesprochen werden darf. Religionsfreiheit geht jetzt vor Meinungsfreiheit. Jede Kritik an der Religionspraxis vieler islamischer Länder soll unmöglich gemacht werden.

Unterstützung erhielten die islamischen Staaten dabei von China, Russland und Kuba, also Ländern, die selbst erhebliche Probleme mit der Einhaltung der Menschenrechte haben.

Bei der Abstimmung über die Resolution stimmten 32 Staaten dafür und 15 enthielten sich. Besonders schockierend war, dass die westlichen Delegationen nicht einmal gegen die Resolution votierten, sondern sich nur enthielten. Am besten lässt sich diese Haltung mit den Worten des Delegierten aus Sri Lanka wiedergeben: "Wenn wir einige Dinge minimal regulieren, können wir vielleicht vermeiden, dass sie gewalttätig in unseren Straßen, Dörfern und Städten agieren." Anders ausgedrückt: "Verzichte auf dein Recht zur freien Meinungsäußerung, weil sonst deine Gegner zuschlagen könnten!"

So ist es kein Zufall, dass neben dem humanistischen Weltverband IHEU gerade die "World Association of Newspaper" (Welt-Presse-Verband) und das "World Editors Forum" (Welt-Herausgeber-Forum) dagegen protestierten. Sie erinnerten die UN an ihre Aufgabe, die Meinungsfreiheit zu verteidigen und nicht die Machenschaften autoritärer und undemokratischer Regierungen.

Die "Nicht-Regierungs-Organisationen" (NGO) stehen jetzt vor der schwierigen Entscheidung zu klären, ob sie weiterhin im Menschenrechtsrat mitarbeiten können und für Werte kämpfen sollen, die dort nicht mehr akzeptiert sind. Es werden immer mehr Stimmen laut, die eine alternative Organisationsform fordern, in der die Prinzipien der Menschenrechte gelten und in der für Meinungsfreiheit überall in der Welt gekämpft wird.

Die Vorsitzende der IHEU, Sonja Eggerickx aus Belgien, verlor deutliche Worte über den Menschenrechtsrat: "Anstatt Menschenrechte zu unterstützen, hat er Menschenrechte eingeschränkt. Aber er ist ein offizieller Rat der Vereinten Nationen und es ist höchste Zeit, gegen diese Verletzungen vorzugehen. (...) Unsere Mitgliedsorganisationen müssen Druck auf ihre Regierungen ausüben, um diesen Missbrauch zu stoppen. Wenn wir jetzt nicht reagieren, was würde als Nächstes passieren?"

Diese Interventionen haben zu ersten Erfolgen geführt. Eine breite Diskussion wird gerade zu dem Begriff "Diffamierung von Religion" geführt. Auch muslimische Organisationen äußerten sich kritisch zu diesem Vorgang und sprachen der "Organisation of the Islamic Conference" das Recht ab, für die Mehrheit der Muslime zu sprechen.

Während der Tagung des UN-Menschenrechtsrats im September 2008 fand der Vertreter der IHEU deutliche Worte. Er stellte klar, dass es nicht die Aufgabe des Menschenrechtrats ist, die Inhalte des Glaubens zu schützen, sondern dass die Rechte der Einzelpersonen geschützt werden müssen. Anstelle der Beschäftigung mit so genannter "Diffamierung von Religion" müsse der Menschenrechtsrat mit dem juristischen Begriff der "Anstiftung zu Diskriminierung, Hass und Gewalt" arbeiten, wie er es schon in den vergangenen Jahren erfolgreich praktizierte.

Unter einigen Delegierten im Menschenrechtsrat ist jetzt ein vorsichtiger Optimismus entstanden, ob es nicht doch schon bald möglich sein könnte, das Konzept "Verbot der Diffamierung von Religion" zu Grabe zu tragen.


Werner Schultz vertritt den Humanistischen Verband bei der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union.

Weitergehende Informationen in Englisch unter:
http://www.iheu.org/node/3193


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Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 85/Dezember/08, S. 15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2009