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BERICHT/220: Konfessions- und Weltanschauungsschulen (diesseits)


diesseits 2. Quartal, Nr. 91/2010 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Konfessions- und Weltanschauungsschulen: Zweierlei Maß

Von Lutz Renken


Bremen - Der HVD Landesverband Bremen will eine Schule als Humanistische Weltanschauungsschule gründen. Besonders die Kinder- und Jugendbeauftragte des Verbandes und Vertreterin der Elterninitiative, Katharina Krebs, treibt das Vorhaben mit Unterstützung durch die Landesverbände Niedersachsen und Bremen seit 2008 voran. Dabei trifft sie auf eine unnachgiebige Bildungssenatorin.
Zeitgleich beginnt die evangelische Landeskirche Hannover mit der Umsetzung der Strategie der EKD, durch Übernahme allgemeinbildender Schulen auch kirchenferne Familien zu erreichen. Die Vorgänge in Ostfriesland werden vom dortigen Kreisverband des HVD in der örtlichen Presse aufmerksam verfolgt und kritisch kommentiert.


Der HVD Bremen plant eine Humanistische Schule als weltanschauliche Ergänzung des bestehenden Angebots öffentlicher und privater Schulen in Bremen, wie z. B. der zur Evangelischen Allianz gehörenden "FEBB" (Freie Evangelische Bekenntnisschule Bremen) oder den Waldorfschulen. Die Humanistische Schule soll allen Kindern offenstehen, die eine nichtreligiöse, humanistische und wissenschaftlich fundierte Bildung und Erziehung erhalten sollen, unabhängig von ihrer ethnischen, religiösen oder sozialen Herkunft.


Strenge Prüfung durch Senat

Im Dezember 2008 hatte der HVD das Konzept bei der Bremer Bildungsbehörde eingereicht und einen Antrag auf Genehmigung einer weltanschaulichen Schule gestellt. Bereits Anfang Februar 2009 lag ein behördeninternes Gutachten vor, das im Wesentlichen aussagt, dass Humanismus eine Weltanschauung, der HVD eine Weltanschauungsgemeinschaft und das Schulkonzept ausreichend humanistisch geprägt sei und einer Genehmigung somit grundsätzlich nichts im Wege stehe. Dieser Stand wurde dann auch in einem Schreiben der Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) vom März vermittelt.

Doch dann änderte die Bildungsbehörde offensichtlich ihre Meinung. Sie teilte dem HVD im April schriftlich mit, dass der Aspekt "Weltanschauungsgemeinschaft" in einem noch zu beauftragenden Gutachten näher geprüft werden solle. Im August erhob der HVD schließlich Untätigkeitsklage, aufgrund derer es am 24. Februar 2010 vor dem Bremer Verwaltungsgericht zu einer Verhandlung kam. Zwischenzeitlich hatte die Schulbehörde jedoch den Antrag mit der Begründung abgelehnt, bei der geplanten Humanistischen Schule handele es sich nicht um eine weltanschauliche Bekenntnisschule, da sie nach eingehender Prüfung nicht deutlich genug vom Humanismus geprägt sei.


Vor Gericht: HVD siegt in allen Punkten

Schließlich hatte das Bremer Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung zu entscheiden. Das Urteil hätte dabei eindeutiger nicht ausfallen können: Humanismus ist eine Weltanschauung, der HVD ist eine Weltanschauungsgemeinschaft und die Schule ist vom Humanismus geprägt. Die geplante Humanistische Schule ist folglich zweifelsfrei eine Weltanschauungsschule für den Humanismus.

Die Vertreter der Schulbehörde gaben sich in der mündlichen Verhandlung irritiert. Zum einen sei das Schulkonzept nicht ausreichend bekenntnisorientiert, denn es fehle "die Indoktrination" (sic). Auch das Argument, Humanisten würden keine vom gesellschaftlichen Grundkonsens abweichende Weltanschauung vertreten, vermochte das Gericht offensichtlich nicht zu überzeugen: durch ihren Erfolg verliere eine Weltanschauung nicht ihren Status als Weltanschauung (vgl. Beitrag Horst Groschopp S. 15). Eine islamische Schule hätte die Behörde nach eigenen Angaben hingegen zugelassen.

Das Urteil kann nicht mehr angefochten werden. Nichtsdestotrotz kündigte Bildungssenatorin Jürgens-Pieper die Fortsetzung ihrer Blockadehaltung an, alle Rechtsmittel bis hin zum Bundesverfassungsgericht ausschöpfen zu wollen.


Kirchliche Trägerschaft erwünscht

Anfang dieses Jahres erklärten die ostfriesischen Gemeinden Hinte und Pewsum gemeinsam mit der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover ihr Vorhaben, eine evangelische Integrierte Gesamtschule einzurichten. Die bisher bestehenden Realund Hauptschulen der Gemeinden sollten zu einer einzigen Schule zusammengefasst werden. Es wäre eine Schule mit Monopolstellung.

Die Überlegungen der Gemeindevertreter sind praktischer Natur: Sie können die Anforderungen, die an eine kommunal geführte Integrierte Gesamtschule (IGS) gestellt werden, nicht erfüllen. Über Jahre hinweg wären die nötigen Schülerzahlen für eine Fünfzügigkeit nachzuweisen. Konfessionelle Schulen sind von diesen weltlichen Pflichten jedoch befreit.

Es ist bemerkenswert, dass die Kommunen nicht wie der Bremer Senat auf die Idee kommen, das Schulkonzept dahingehend zu prüfen, ob es ausreichend vom entsprechenden Bekenntnis geprägt ist. Ganz im Gegenteil. Wie man an diesem Beispiel sehen kann, wird die kirchliche Trägerschaft als selbstverständliche Alternative für eine öffentliche Schule angesehen, die eigentlich der weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist. Gehen die Vertreter der Kommunen - im Gegensatz zur Bremer Bildungsbehörde - vielleicht davon aus, dass die Gesellschaft und damit die öffentlichen Schulen so sehr vom Christentum geprägt sind, dass es hier keine nennenswerten Unterschiede gibt?

Die Strategie der Kirche ist eine andere: "Für die Kirche bietet die Kooperation mit dem Staat den Vorteil, dass sie dadurch weit über die eigenen Möglichkeiten hinaus ihren Auftrag in Bereichen erfüllen kann, die sonst in der Breite für sie kaum erreichbar wären. Dies entspricht nicht zuletzt dem Öffentlichkeits- und Missionsauftrag der Kirche." Die Kirche möchte ihr Engagement im staatlich geförderten Bereich "nicht nur unter dem Aspekt (...) beurteilen, ob sich ein Bildungsangebot zumindest mehrheitlich an Angehörige der evangelischen Kirche richtet". So steht es im Strategiepapier der EKD "Kirche und Bildung" von 2009.

Im Klartext heißt das: Die Kirche möchte in Zusammenarbeit mit dem Staat ein Bildungsangebot schaffen, das möglichst viele Kirchenferne erreicht, damit sie ihrem Missionsauftrag folgen kann. Dafür bietet sie nun den Kommunen an, deren strengere Vorgaben zu umgehen, um dem eigenen Missionsauftrag nachzukommen.

Da verwundert es nicht, dass die Kirche nicht auf die üblichen Bedingungen verzichtet, wie die Kirchenzugehörigkeit neu einzustellender Lehrkräfte und die elterliche Zustimmung zur evangelischen Erziehung. So werde laut Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track selbstverständlich evangelischer Religionsunterricht als ordentliches Fach verpflichtend. Das Fach Werte und Normen als Alternative für Konfessionslose werde nicht angeboten.

Inzwischen hat der Landkreis dieses Vorhaben zwar bis auf Weiteres gestoppt - doch dabei ging es eher um Fragen der Organisation, wie z. B. die Schülerbeförderung, und weniger um die Monopolstellung einer Bekenntnisschule. Die evangelische IGS in Ostfriesland bleibt nicht der letzte Versuch dieser Art.


Fazit: weltanschauliche Neutralität ist einzuhalten

In Bremen ist die Lage klar: Der HVD will eine weltanschauliche Bekenntnisschule gründen. Er fordert damit ein Grundrecht ein, welches konfessionellen Trägern ganz selbstverständlich zugestanden wird. Im Gegensatz zur Strategie der EKD zielt der HVD nicht darauf ab, öffentliche Schulen zu übernehmen, um auch kirchennahe Familien zu erreichen. In Bremen gibt es für diese genügend öffentliche und konfessionelle Alternativen.

Auf der anderen Seite ist jede Gründung einer neuen Konfessionsschule dahingehend zu prüfen, ob diese lediglich eine Ergänzung der Schullandschaft oder durch Monopolstellung eine unzumutbare Benachteiligung von Kirchenfernen darstellt. Das gilt in besonderem Maße für kirchliche Übernahmen öffentlicher Schulen.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie sehr die säkularen Verbände und ihre Mitglieder gefordert sind, genau hinzusehen und die staatlichen Stellen zur Einhaltung ihrer Neutralitätspflicht zu zwingen.


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Quelle:
diesseits 2. Quartal, Nr. 91 2/2010, S. 6-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2010