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GESCHICHTE/039: Das Auswärtige Amt und die Verfolgung humanistischer Emigranten (diesseits)


diesseits Nr. 94, 1/2011
Das Magazin für weltlichen Humanismus

Das Auswärtige Amt und die Verfolgung humanistischer Emigranten


Die unlängst erschienene Studie über die Rolle des Auswärtigen Amts (AA) im Dritten Reich und seine Nachkriegsgeschichte hat die Legende, dass sich staatliche Institutionen während der NS-Diktatur nicht oder wenn, dann nur widerstrebend an den Verbrechen des Regimes beteiligt hätten, jetzt auch für das AA widerlegt. Sie zeigt auf, dass das AA von Anfang an in die Gewaltpolitik des NS-Staates eingebunden und aktiv an ihr beteiligt war. Mit dieser Studie wissen wir nun um die Selbstverständlichkeit, mit der auch die "Liquidation der Juden" vom AA mitbetrieben und entsprechend offen als Zweck einer Dienstreise abgerechnet worden ist. Dennoch gelang es über Jahrzehnte, das AA in der öffentlichen Wahrnehmung als unbelastet, gar als Hort des Widerstands darzustellen. Die Studie macht dem ein Ende, nicht nur, indem sie die Einbindung des AA in den NS-Gewaltapparat veranschaulicht, sondern auch, weil sie aufzeigt, wie und unter welchen Umständen zahlreiche der beteiligten AA-Bediensteten in der Bundesrepublik ihre Karriere fortsetzen oder eine neue beginnen konnten.

diesseits nimmt das Erscheinen des Buches "Das Amt und die Vergangenheit" zum Anlass, die Rolle des AA bei der Bespitzelung und Ausbürgerung von konfessionslosen Oppositionellen, die sich der Verfolgung in Deutschland durch Emigration entzogen hatten, aufzugreifen. Am Umgang mit diesen Personen, die der humanistischen Bewegung nahestanden bzw. sie aktiv unterstützten, wird auch deutlich, inwieweit das AA von Anfang an einen Teil der Unrechtspolitik des NS-Regimes bildete und dazu nicht erst gleichgeschaltet werden musste.

Der gewalttätige Charakter des NS-Regimes trat in den ersten Monaten seiner Herrschaft besonders deutlich hervor. Die Zerschlagung aller oppositionellen Organisationen, darunter auch die des Deutschen Freidenkerverbands am 17. März 1933, ging mit äußerstem Terror einher. SA-Horden überfielen, verhafteten und folterten Tausende von Regimegegnern.


Hand in Hand mit Gestapo und Innenbehörden

Dieses Vorgehen und die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern führten im Ausland zu heftigen Protesten. Das AA, das es als seine Aufgabe betrachtete, den Ruf Deutschlands in der Welt zu verteidigen, reagierte darauf mit zum Teil zynischer Verharmlosung und Beschönigung. So erklärte es in Reaktion auf eine Anfrage des schwedischen Roten Kreuzes über die Zustände in den Konzentrationslagern, dass sich die Behandlung der dort Inhaftierten an den Maßgaben des modernen Strafvollzugs orientiere. Daher sei für die Masse der aus proletarischen Verhältnissen stammenden Häftlinge der Lebensstandard dort ein höherer als der, den sie gewohnt seien.

Da in die Emigration gezwungene Deutsche solchen Verlautbarungen zum Teil aus eigenem Erleben widersprachen und damit die Propaganda des AA unglaubwürdig machten, sann das Amt auf Abhilfe. Es ließ die Aktivitäten der Emigranten an ihren Zufluchtsorten beobachten, die entsprechenden Berichte unter Titeln wie "Hetze seitens deutscher Emigranten" füllen diverse Akten. Ganz selbstverständlich teilte es seine Erkenntnisse mit Gestapo und Innenbehörden. Auch über den damals noch sehr jungen Willy Brandt, geboren 1913, der für die Sozialistische Arbeiterpartei einer linken Abspaltung von der SPD, tätig war und am 1. April 1933 über Dänemark nach Oslo emigriert war, wurde eine solche Akte angelegt.

Bereits am 14. Juli 1933 erließ die Reichsregierung unter maßgeblicher Beteiligung des AA das "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit". Paragraph eins des Gesetzes ermöglichte es, in der Weimarer Republik vorgenommene Einbürgerungen wieder rückgängig zu machen und richtete sich vor allem gegen eingewanderte Juden aus Osteuropa. Der zweite Paragraph diente der Einschüchterung der Emigranten. Soweit sie durch ihr Verhalten "gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk" verstießen und die "deutschen Belange" schädigten, konnte ihnen die Staatsangehörigkeit entzogen und gleichzeitig ihr Vermögen beschlagnahmt werden. Das federführende Innenministerium drängte zur Eile und wollte die ersten "Staatsfeinde" so schnell wie möglich ausbürgern. Das AA hatte bis auf eine Ausnahme keine Einwände. So erschien die erste Ausbürgerungsliste bereits am 25. August 1933. Sie enthielt 33 Namen, mindestens 22 der Ausgebürgerten waren religionsfern. Darunter befanden sich u.a. die prominenten Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid, Philipp Scheidemann und Otto Wels, führende Kommunisten wie Friedrich Heckert, Heinz Neumann und Wilhelm Pieck und bekannte Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann und Ernst Toller. Hinzu kamen mit Otto Lehmann-Rußbüldt, Peter Maslowski, Max Sievers und Kurt Tucholsky vier ausgesprochene humanistische Aktivisten.

Otto Lehmann-Rußbüldt (1873-1964) gehörte bereits im Kaiserreich zu den führenden Köpfen der freidenkerischen Bewegung und wirkte publizistisch und organisatorisch für die Kirchenaustrittsbewegung. Während des 1. Weltkriegs und in der Weimarer Republik wurde er auch zu einem Motor der pazifistischen Bewegung und ist von 1922-1926 Generalsekretär der Deutschen Liga für Menschenrechte. Im März 1933 floh er nach London, wo er seine publizistische Tätigkeit fortsetzte. 1951 kehrte er nach Deutschland zurück.

Peter Maslowski (1893-1983) war Journalist und einer der führenden kommunistischen Freidenker der Weimarer Republik. Seit August 1933 führte er seinen Kampf gegen das NS-Regime aus dem französischen Exil, ab 1940 aus dem Untergrund weiter. 1938 brach er mit dem Kommunismus. Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde er Herausgeber und Chefredakteur in Coburg. Er gehört zu den Mitbegründern des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA).

Max Sievers (1887-1944), der Vorsitzende des Deutschen Freidenkerverbandes, flüchtete im April 1933 nach Brüssel. Er hatte einen Teil des Vermögens des DFV vor den Nazis retten können und nutzte es für seine Widerstandstätigkeit. 1943 wurde er von der Gestapo in Nordfrankreich aufgespürt, zum Tode verurteilt und im Januar 1944 hingerichtet.

Kurt Tucholsky (1890-1935) zählte zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Als politisch engagierter Journalist und Gesellschaftskritiker stand er für Pazifismus, soziale Gerechtigkeit und Humanismus. Sein Gedicht "Gesang der englischen Chorknaben" (1928) führte zu einer Anklage wegen Gotteslästerung. Bereits 1930 wurde die Situation in Deutschland für ihn unerträglich, so dass er seinen Wohnsitz nach Schweden verlegte. Den Nationalsozialisten galt er als Prototyp des "zersetzenden jüdischen Literaten".

Mit Albert Einstein (1879-1955) hatte das Innenministerium ursprünglich einen weiteren Freigeist zur schnellen Ausbürgerung vorgesehen. In diesem Fall legte das AA jedoch sein Veto ein. Nicht weil es die Rolle Einsteins, der immer wieder öffentlich die Ächtung des NS-Regimes forderte, anders beurteilte, sondern weil es befürchtete, durch die Prominenz Einsteins könne dem Ansehen des Reiches erneut Schaden entstehen. Daher suchte es nach einer eleganteren und weniger konfliktträchtigen Lösung. Das Innenministerium beharrte jedoch darauf, Einstein auszubürgern und sein mittlerweile längst beschlagnahmtes Vermögen nicht freizugeben. Seine Ausbürgerung erfolgte dann auf der zweiten Liste, die im März 1934 veröffentlicht wurde.

Auch WilIy Brandt entzogen die NS-Behörden 1938 seine Staatsbürgerschaft. Insgesamt wurden 39.006 Personen unter maßgeblicher Beteiligung des AA vom NS-Regime ausgebürgert. Die letzte Ausbürgerungsliste erschien wenige Wochen vor dem Ende der NS-Herrschaft am 7. April 1945.


Michael Schmidt ist Historiker & Politologe, Leiter des Arbeitskreises Stadterkundungen Berlin.



BUCHTIPP

Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes, Moshe Zimmermann:
Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik.
Karl Blessing Verlag 2010. 880 S. 34,95 EUR.

ONLINE-INFOS

Eindrucksvoll veranschaulicht der Fall des Reichstagsabgeordneten Gerhart Seger die Verwicklung des AA in den nationalsozialistischen Terror. Eine Darstellung finden Sie unter www.diesseits.de


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Quelle:
diesseits - Das Magazin für weltlichen Humanismus
Nr. 94, 1/2011, S. 30-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2011