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STANDPUNKT/171: Scientology post portas!! (diesseits)


diesseits 2. Quartal, Nr. 79/2007 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Scientology post portas!!
Mitte Januar eröffnete die Scientology Organisation (SO) ihr neues Zentrum in Berlin

Von Ulrich Tünsmeyer


Der imposante Bürokomplex in Charlottenburg - an die 4000 qm über sechs Stockwerke verteilt, mit diversen Kursräumen, Kinos, Bibliothek, Sauna, Kapelle und dem obligaten Büro des Gründers Ron Hubbard - bietet sich an, das deutsche Hauptquartier der umstrittenen Gruppierung zu werden. Von hier aus könnte die Lobbyarbeit in den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungszentren organisiert werden. Aber auch aus Hannover und Münster wird berichtet, dass die SO sich um große, repräsentative Gebäude in innerstädtischen Bezirken bemüht. Entsprechend groß sind Aufregung, Befürchtungen und Warnungen in den Medien.


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Wie ist diese Gruppierung, deren Mitglieder für Deutschland auf nur 6000 und für Berlin gerade mal auf 200 Mitglieder geschätzt werden, einzuordnen? Die "Berliner Zeitung" fordert angesichts der neuen Offensive von SO in Deutschland, die Antiterrorgesetzgebung zu nutzen, um erneut ein Verbot der Organisation einzuleiten. Denn keine andere Gruppe aus dem sogenannten Sekten- und Psychobereich in Deutschland sei gründlicher untersucht worden als Scientology. Und die Gefährlichkeit der SO sei eindeutig festgestellt, die Fakten liegen auf dem Tisch: "Scientology unterwirft ihre Mitglieder einer extremen finanziellen und psychischen Ausbeutung. Scientology bedroht Kritiker und unterhält einen Geheimdienst. Die deutsche Innenministerkonferenz befand 1997, dass es sich bei Scientology um eine 'neue Form des politischen Extremismus' mit verfassungsfeindlichen Zielen handelt. Das Bundesarbeitsgericht urteilte bereits 1995, dass Scientology keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes sein könne, da sie zur Mitgliederwerbung Provisionen zahle. Kurz, es handelt sich um einen straffen Gehirnwäsche-Konzern, dessen Ideal ein Führerstaat mit Menschenrechten nur für Scientologen ist."


Verfassungsfeindliche Bestrebungen

Die Begründung des Verwaltungsgerichts Köln für das Urteil vom November 2004 spricht ebenfalls eine deutliche Sprache. Zusammengefasst (von der Website des Bayerischen Innenministeriums) ist es der Auffassung, dass die Beobachtung der Scientology Kirche Deutschland e.V. und der Scientology Kirche Berlin e.V. durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtmäßig ist und auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln erfolgen darf. Denn es liegen deutliche und tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Scientology verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen, die darauf gerichtet sind, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte zu beseitigen. Der "Anfangsverdacht", unter dem 1997 mit der Beobachtung begonnen wurde, habe sich bestätigt. Scientology verfolgt das Ziel, durch Expansion, Werbung und Missionierung die Macht in der Gesellschaft zu erringen und so letztendlich die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben. Auch Religionsgemeinschaften dürften bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Ähnlich beschreibt im Jahr 2002 eine Expertise der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität über "Auswirkungen und Risiken unkonventioneller Psycho- und Sozialtechniken" die Methoden von SO: "Zusammenfassend lässt sich somit aus der Betroffenenbefragung schließen, dass Scientology einen Ausschließlichkeitsanspruch hinsichtlich der Richtigkeit eigener Vorstellungen beansprucht. Die Autonomie der Teilnehmer ihrer Kurse wird mit relativ rigiden Regeln und Sanktionen und mit Methoden, die vorwiegend der psychologischen Manipulation dienen, eingeschränkt und unterminiert. Dies ist für Betroffene kaum durchschaubar."


L. Ron Hubbards Xenu-Kult

Ideologisch ist die Organisation nach wie vor ausgerichtet auf den 1986 gestorbenen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard. Er gründete 1954 seine "säkulare Kirche" und kreierte in teils geheim gehaltenen Schriften einen Schöpfungsmythos um die Figur des "Xenu". Der galaktische Fürst, so glauben die Scientologen, hat vor 75 Millionen Jahren Menschen auf die Erde gebracht, sie um Vulkane gruppiert und mit Wasserstoffbomben in die Luft gejagt. Daraufhin sollen deren Seelen Schwärme gebildet und sich an die Körper der wenigen überlebenden Menschen und ihrer Nachkommen geheftet haben. Bis heute sollen sie für deren seelische Probleme verantwortlich sein. Erst intensives "Auditing" ermöglicht nach scientologischer Vorstellung die Rückkehr des in jedem Menschen wohnenden "Thetan" zur ursprünglichen Vollkommenheit.


Harmlos klingende Nachhilfeangebote

Kein Wunder, dass seit Januar nicht nur in Berlin eine heftige Debatte um die Organisation und ihr neues Zentrum entbrannte. Da es in Berlin aufgrund eines Gerichtsurteils in den letzten Jahren keine Beobachtung der SO durch den Verfassungsschutz gab, wurden insbesondere der Senator für Inneres und seine Behörde für angebliche Versäumnisse heftig kritisiert. So war es für den Vorsitzenden des Deutschen Philologenverbandes kein Zufall, "dass Scientology seine große Werbeoffensive gerade in Berlin startet. (...) Es ist offensichtlich die Stadt, wo Gerichte und Behörden Scientology nicht nur keine Steine in den Weg legen, sondern diese offensichtlich sogar bereitwillig wegräumen."

Unabhängig davon, dass solche massiven und unberechtigten Vorwürfe von wenig Sachkenntnis zeugen, Ausgangspunkt waren Hinweise einzelner Landesämter für Verfassungsschutz, dass es eine ganze Reihe von überregional und bundesweit tätigen Nachhilfestudios und Studienförderkurse gibt, die Scientology zugerechnet werden. Diese versuchten so, Einfluss auf Jugendliche und Kinder zu gewinnen, denn weder in der Öffentlichkeit noch den Eltern wird klar gesagt, welche Organisation und Ideologie hinter den harmlos klingenden Nachhilfeangeboten steckt. Zu den Organisationen im Bereich "Nachhilfe und Lerntechniken", die der Scientology Organisation nahe stehen, gehören unter anderem das "Zentrum für individuelles und effektives Lernen" (ZIEL), die "Applied Scholastics" (u.a. Englischkurse) und "Ziel Concept".

Zwar war über Aktivitäten dieser "Nachhilfezentren" in Berlin bisher wenig bekannt, aber - kaum eingezogen - hatten die Scientologen begonnen, im unmittelbaren Umfeld ihrer Zentrale Kontakte aufzunehmen und aktiv bei Kindern und Jugendlichen für ihre krude Ideologie zu werben.


Ansprechpartner bei Problemlagen

Auch durch Anti-Drogen-Kampagnen versucht sich die SO als Ansprechpartner für Menschen in schwierigen Situationen anzubiedern. Doch sind die Broschüren der Scientology-Organisation zum Thema "Drogen" aus Sicht erfahrener Experten der Drogenprophylaxe nicht geeignet, aufklärend zu wirken oder gar kompetente Hilfe anzubieten.

Gegen solche Aktivitäten der SO lässt sich durchaus etwas unternehmen und das zuständige Bezirksamt hat sofort eine intensive Beobachtung und Aufklärung eingeleitet. Wert gelegt wurde dabei auf eine intensive Kommunikation und enge Zusammenarbeit mit Schulen - vor allem im direkten Einzugsgebiet. Die Pressestelle des Bezirks hat umgehend Informationen über die Scientology-Organisation auf die Internetseite des Bezirks eingestellt. Informationsveranstaltungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bezirksamtes sind geplant; die Volkshochschule wird Diskussionsveranstaltungen anbieten und die Stadtbibliothek hat umfangreiches Informationsmaterial zusammengestellt. Ferner achten die zuständigen Behörden darauf, dass die gewerbe- und ordnungsrechtlichen Möglichkeiten zur Eindämmung von Werbung durch Scientologen auf öffentlichen Straßen konsequent genutzt werden und der Vertrieb von Kursen und Materialien im Rahmen der gewerberechtlichen Anmeldepflicht auf gefährdende Inhalte geprüft wird.


Ausschöpfung geltender Gesetze

Aufklärung, öffentliche Beobachtung und Debatte sowie die konsequente Anwendung geltender Gesetze - wie in Charlottenburg praktiziert - sowie das couragierte Engagement einzelner Bürger, wird sicherlich wesentlich dazu beitragen, die Expansionspläne der Scientologen zu verhindern. Denn sicherlich hat neben der intensiven öffentlichen Debatte und Aufklärung über SO in den 90er-Jahren auch eine gesunde säkulare Grundhaltung eines großen Teils der Bevölkerung - der sich von Versprechungen jeglicher Kirchen wenig beeindrucken lässt - dazu beigetragen, eine ähnlich starke Entwicklung von SO wie in den USA für Deutschland bisher zu verhindern.

Zu Recht fordern öffentliche Institutionen in diesem Zusammenhang auch konkrete Unterstützung von allen demokratischen Organisationen, Parteien, Initiativen, Gewerkschaften, Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften.


Humanisten positionieren sich

Humanisten werden in den gesellschaftlichen Bereichen, in denen sie tätig sind, sich deutlich gegen die inhumanen Vorstellungen von SO positionieren und über ihre Tarnmanöver informieren. So ist es gerade für uns - die wir die Verwirklichung der universalen Menschenrechte als ein wesentliches Ziel humanistischer Praxis ansehen - wichtig, gegen PR-Kampagnen von SO wie "Jugend für Menschenrechte" offensiv Stellung zu beziehen. Eine Organisation, die letztlich nur in ihrem Sinne geschulte Menschen für vollwertig hält, die bereits ein öffentliches Lossagen von Scientology oder gar Kritik an ihrer Lehre als "Schwerverbrechen" brandmarkt, wird es kaum wirklich darum gehen, Menschenrechte zu verwirklichen. Diese Kampagnen hatten nur den Sinn, einerseits ihre aggressiv ablehnende Haltung gegen die Psychiatrie zu bestätigen und andererseits soziale Akzeptanz zu gewinnen.

Wir müssen überall, wo Scientologen für "Jugend für Menschenrechte" werben, offensiv dagegen argumentieren, zumal nicht ohne weiteres ersichtlich ist, dass Scientologen dahinterstehen. Der Werbefilm mit dem Titel "United" kann auf Jugendliche durchaus ansprechend wirken. Die Gefahr besteht, dass die SO den Idealismus junger Menschen für eigene Zwecke ausnutzt.


Ulrich Tünsmeyer ist Bildungsreferent beim Humanistischen Verband Berlin.


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Quelle:
diesseits 2. Quartal, Nr. 79/2007, S. 24-25
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
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E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2007