Schattenblick →INFOPOOL →WELTANSCHAUUNG → HUMANISTISCHER V.D.

STANDPUNKT/174: Frohe Weihnachten ... (diesseits)


diesseits 4. Quartal, Nr. 81/2007 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Frohe Weihnachten ...
Warum auch Atheisten guten Gewissens Weihnachten feiern können, ein Fest, das alle Abschaffungsparolen souverän überstanden hat und überstehen wird

Von Joachim Kahl


Weihnachten stilvoll und fröhlich feiern - jenseits von Konsumrausch und Konsumkritik, ohne Erwartungsstress und Geschenkzwänge, ohne christlichen Mythos vom welterlösenden Säugling, also ohne Krippe und ohne Engel, aber doch mit Adventskranz und Tannenbaum als den ökologischen Hauptsymbolen!? Ja, das ist sinnvoll und praktikabel. Immer mehr Menschen suchen einen neuen und selbstbewussten Umgang mit diesem Fest der Feste. Sie erlauben sich eine phantasievolle und produktive Auswahl aus der überlieferten weihnachtlichen Folklore, öffnen sich deren ästhetischem Reiz, bedienen sich aus dem reichen Arsenal ihrer internationalen Utensilien.

Für viele freilich bleibt Weihnachten ein Ärgernis. Bereits in der Erwartung des Festes spüren sie ein Unbehagen, verfallen in Depressionen oder Aggressionen - und zwar nicht nur die Einsamen und Betagten ohne Angehörige, sondern auch andere, Jüngere und Feinfühlige, die einen geheuchelten Familienfrieden und leere Konventionen verabscheuen. In der Weihnachtszeit steigen erfahrungsgemäß Alkoholmissbrauch und Selbsttötungsrate.


Heitere Mittwinterzeit

Religionsphilosophische, historische und kulturtheoretische Überlegungen können jedoch dazu beitragen, die Festverdrossenheit zu mildern und eine zugleich spontane und reflektierte Festfreude zu ermöglichen. Dabei geht es um die doppelte Einsicht, dass Weihnachten vom Ursprung her gar kein ausschließlich christliches Fest und insofern auch einer weltlich-humanistischen Sinngebung leicht zugänglich ist und dass das Feiern von Festen einen unverzichtbaren Bestandteil eines kultivierten Lebens darstellt.

Ich schlage vor, Weihnachten als weltliches Friedensfest zu feiern, als geselliges und heiteres Fest der Mittwinterzeit. Nehmen wir uns die Freiheit, diesem Fest, das eine lange christliche und eine noch längere vorchristliche Geschichte hat, einen neuen, nachchristlichen, weltlich-humanistischen Sinn zu geben: einen Sinn, der mit einem undogmatischen Atheismus im Einklang steht und dessen Spiritualität beflügelt.

Das Weihnachtsfest ist tief im Leben breitester Bevölkerungskreise verwurzelt. Denn es entspringt und entspricht einem realen Bedürfnis: sich in der dunkelsten und kältesten Zeit des Jahres mit einer Fülle sinnlicher und kulinarischer Elemente das Licht, die Wärme, das Wohlbehagen symbolisch zu vergegenwärtigen, die die Menschen gerade im Winter zum Leben brauchen. In eins damit wird eine weltanschauliche Orientierung über den Tag hinaus vermittelt.


Warten auf Wärme und Licht

Die dauerhafte, objektive, naturgeschichtliche Grundlage des Weihnachtsfestes ist die Wintersonnenwende, der Punkt im Umlauf der Erde um die Sonne, von dem an (auf der Nordhalbkugel) ihre Leben spendende Strahlung wieder zunimmt. Die Tage werden wieder länger, ein neuer Frühling bahnt sich an. Dies ereignet sich - "alle Jahre wieder" - in der Zeit um den 21. Dezember herum. Der Sieg des Lichtes über die Finsternis, der Sieg der Wärme über die Kälte sind unaufhaltsam im Kommen. Ein nachchristliches, weltlich-humanistisches Verständnis von Weihnachten knüpft an diese kosmische und insofern unverwüstliche Verankerung an und verbindet sie unbefangen mit dem Beitrag der christlichen Religion zur Ausgestaltung des Festes. Neuheidnisch und damit rückwärtsgewandt wäre es, nur auf die Wintersonnenwende abzuheben und die qualitative Bereicherung des Festes durch das Christentum zu ignorieren oder gar zu leugnen.

Dieser produktive Beitrag besteht in der Ethisierung, Historisierung und Politisierung des Festinhaltes. "Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", so singen die Engel über dem Stall von Bethlehem und greifen damit messianische Visionen aus dem Alten Testament ("Schwerter zu Pflugscharen") und Proklamationen aus der Regierungszeit des römischen Kaisers Augustus auf. Da sie freilich illusionär mit dem Eingreifen eines himmlischen Retters in das irdische Geschehen verklammert werden, erfolgt - "alle Jahre wieder" - ihre praktische Entzauberung. Ein weltlich-humanistisches Verständnis von Weihnachten haftet daher nicht länger am Mythos der Menschwerdung Gottes, sondern feiert die Menschwerdung des Menschen als ständige Aufgabe, wofür Friede eine entscheidende gesellschaftliche Bedingung ist. Friede wird aber nicht den Menschen irgendwie von oben geschenkt, wie es die Botschaft der Engel und der Glaube an die wunderbare Geburt eines göttlichen Heilands behaupten. Friede lässt sich nur als Resultat einer gewaltigen und koordinierten Anstrengung von Millionen Menschen verwirklichen.

Das Interesse am Geburtsdatum des christlichen Erlösers tauchte erst im vierten Jahrhundert nach der konstantinischen Wende auf, als das Christentum zur Staatsreligion erhoben worden war. Mit strategischer Klugheit und bis heute reichenden Folgen setzte der römische Bischof aus eigener Machtvollkommenheit fest: Der Welterlöser, dessen Geburtsdatum in der Bibel nirgendwo erwähnt wird, wurde in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember geboren. Warum? Weil im gesamten Imperium Romanum der 25. Dezember staatsoffiziell als Geburtstag des "unbesiegten Sonnengottes" (sol invictus) gefeiert wurde. Das Datum lag kurz nach der Wintersonnenwende und bewies mit den bereits wieder länger werdenden Tagen die Unbesiegtheit der Sonne, den sich erneuernden Triumph des Lebens. Mit dieser Datierung sollte gezielt der heidnische Sonnengott verdrängt und das römische Fest umfunktioniert werden zur Feier des Aufgangs der wahren Gnadensonne über Bethlehem. Das war umso leichter möglich, als bereits im Neuen Testament Aussagen aus dem antiken Sonnenkult auf Jesus übertragen worden waren. "Ich bin das Licht der Welt", heißt es beispielsweise im Johannes-Evangelium.


Elemente des Sonnenkultes

So setzten sich im christlichen Weihnachtsfest Elemente und Symbole des Sonnenkultes naturwüchsig durch, und zwar vor allem im mittwinterlichen Grünschmuck und im Lichterglanz der Kerzen. Zwar ist der lichtergeschmückte Tannenbaum als optischer Mittelpunkt erst ein Erzeugnis der bürgerlichen Familienkultur des neunzehnten Jahrhunderts. Doch ist die mit dem Sonnenkult unmittelbar verbundene Baum- und Lichtsymbolik als solche uralt und hat in mannigfachen Formen Advents- und Weihnachtsbräuche beeinflusst. Harmonisch ist das Grün der Vegetation verbunden mit dem Abglanz des Sonnenlichtes als dem Ursprung allen Gedeihens und Wachsens.

Als das Christentum über seine mediterranen Ursprünge hinauswuchs, wurde es nördlich der Alpen mit germanischen Sitten und Anschauungen konfrontiert. Unsere Vorfahren feierten in den Tagen vor und nach der Wintersonnenwende das Julfest mit Julschmaus und Julbier und Julfrieden. Die Nächte um den 21. Dezember herum nannten sie die "wihen nachten", die geweihten Nächte, aus denen das Wort Weihnachten hervorgegangen ist. Die Nächte schienen "geweiht", etwas Besonderes zu sein, weil in dieser dunkelsten Zeit des Jahres der Umschlag zum Licht erfolgt und die wieder zunehmende Wärme den Winter zuverlässig besiegen wird. Das Julfest war ein Fest des Friedens, des Lichtes, der Freude, der Hoffnung, der Fruchtbarkeit. Die Einheit von Sonne und Erde, von Mensch und Natur, von Mensch und Tier wurde gefeiert. Den wilden Tieren in Wald und Feld wurde Futter hingestreut, Streitereien und Kämpfe zwischen Menschen wurden vorübergehend ausgesetzt, eine Verhaltensweise, die Julfrieden genannt wurde.

So führt ein nachchristliches, ja insgesamt nachreligiöses, weltlich-humanistisches Verständnis des Weihnachtsfestes seine beiden bisherigen Entwicklungsstufen zu einer höheren Einheit zusammen. Zwei Sinnebenen lassen sich deutlich unterscheiden. In der kosmologisch-ökologischen Sinndimension wird die Einheit von Erde und Sonne, von Mensch und Natur gefeiert. In der historisch-ethischen Dimension wird der Friede auf Erden als ständige Aufgabe vergegenwärtigt. Da es sich hierbei um rein weltlich-menschliche Dinge handelt, nicht um ein wunderbares göttliches Geschehen, ergibt sich daraus eine charakteristische Verschiebung in der Gefühlslage des Festes. An die Stelle traulich besinnlicher Andacht tritt eine gelöste Heiterkeit.


Dr. Dr. Joachim Kahl ist freiberuflicher Philosoph.


*


Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 81/2007, S. 29-30
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. Oktober und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 12,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2007