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STANDPUNKT/178: Wozu brauche ich einen Gott - Gespräche mit Ungläubigen (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 84/2008 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Wozu brauche ich einen Gott!?
Gespräche mit Abtrünnigen und Ungläubigen

Von Fiona Lorenz


Im Januar des nächsten Jahres wird bei Rowohlt ein Buch erscheinen, in dem Menschen der Autorin Fiona Lorenz ihre Lebensgeschichten berichten. Sie erzählen darin von ihren Erfahrungen mit Kirche und Religion und sprechen über die Gründe, sich vom Glauben zu distanzieren. In diesseits berichtet die Autorin vorab über dieses Projekt.


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Das Buch "Wozu brauche ich einen Gott!? - Gespräche mit Abtrünnigen und Ungläubigen" basiert auf persönlichen Erzählungen. Mich interessierte, wie es an der Basis aussieht: Wie denken und fühlen Gottlose? Unterscheiden sie sich von Gläubigen? Wenn ja: worin? Wie leben sie? Ich wollte wissen, weshalb Menschen ungläubig sind, weshalb sie sich von Kirche, Religion und dem Glauben abgewendet und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben. Das Buch ist für Zweifler am und Haderer mit dem Glauben geschrieben. Viele Gläubige scheinen Angst vor einer Art "transzendentaler Obdachlosigkeit" zu haben - durch diese Angst sind einige der von mir Befragten gegangen. Was sie am Ende ihres Wegs (an dem viele noch gar nicht angekommen sind) erleben und wie sie leben, das haben sie mir erzählt.

Das Thema Religionskritik kommt seit ein bis zwei Jahren, gesellschaftlich betrachtet, aus der grauen Ecke heraus in die Öffentlichkeit. Mittlerweile treten im gesamten deutschsprachigen Raum, auf Podiumsdiskussionen und in Talkshows, bei Maischberger, Johannes B. Kerner, Gert Scobel und Arabella Kiesbauer, Atheisten gegen Gläubige an. Das Thema ist in.


Gut leben ohne Glauben

Habe ich jemals an Gott geglaubt? Ich kann mich daran nicht erinnern. Von daher würde ich sagen, ich war schon immer Atheistin. Ich hab als Jugendliche einige Wochen lang versucht, an Gott zu glauben, und dann für mich das Fazit gezogen, dass ich das nicht kann. Seitdem fahre ich auch sehr gut damit, ich kenne es nicht anders. Dennoch würde ich nicht unbedingt darauf beharren, dass es keinen Gott gibt - ich halte es nur für sehr, sehr unwahrscheinlich, und gebraucht habe ich das Konstrukt "Gott" noch nie.

Zum Thema dieses Buches kam es so: In der Giordano-Bruno-Stiftung in Mastershausen traf ich 2006 auf einige Frauen und Männer, die bereits die Sechzig überschritten hatten und kam mit ihnen ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass sie sich zum überwiegenden Teil jahrzehntelang in der Kirche engagiert hatten. Irgendwann begannen sie Widersprüche festzustellen, diffus, nicht richtig greifbar oder benennbar. Diese Situation blieb mir noch einige Tage im Gedächtnis. Hier waren Menschen, die sich nicht unbedingt mit religionskritischen Theorien oder Philosophie befassen würden, die aber vielleicht durch die Lebensgeschichten anderer Menschen angeregt werden könnten, ihre Zweifel bezüglich ihres Glaubens zuzulassen. Die eventuell durch die persönlichen Erfahrungsberichte anderer dazu bewegt würden, ihre Angst vor dem Verlust des Glaubens abzulegen, wenn sie sehen, dass ungläubig zu sein heißen kann, sehr gut leben zu können. Dem entsprach auch meine über die Jahre gemachte Beobachtung, wie schwer sich Bekannte von mir getan hatten, aus der Kirche auszutreten oder sich mit Widersprüchen der Religion auseinanderzusetzen. Zugleich reagierten sie auf "vernünftige", rational-philosophische Argumente zum Teil verzweifelt, so dass mir klar wurde, wie hoch emotional das Thema Religion für viele Menschen besetzt ist und wie groß die Angst sein kann, sich davon zu lösen.

Ein Motiv, das Buch zu schreiben war daher die Hoffnung, wenn genügend Menschen ihre Geschichte erzählen, die Geschichte ihres kirchen-, religions- und gottlosen, dafür aber erfüllten, humanistischen Lebens, dass Zweifler am Glauben dazu ermutigt werden, sich mit den Widersprüchen im System Religion oder mit der Angst vor dem Verlust eines Gottes zu konfrontieren und eventuell davon Abschied nehmen können.


Wer hat sich beteiligt?

Insgesamt ließen sich zwischen Mai 2006 und Mai 2008 siebzig Personen befragen, 56 Männer und 14 Frauen, was in etwa die Verteilung der Gottlosen nach Geschlecht in der Bevölkerung widerspiegelt. Die Befragten waren zwischen 14 und 86 Jahre alt und lebten überwiegend in Deutschland verteilt, aber auch aus Luxemburg, der Schweiz, Teneriffa und Österreich meldeten sich Interessierte. Mehrere Befragte oder deren Eltern waren aus dem Iran, aus Afghanistan oder Italien. Nur elf der Befragten waren nie Mitglied einer Weltanschauungsgemeinschaft gewesen, die meisten von ihnen stammten aus dem Osten Deutschlands. Manche der konfessionell Gebundenen sind als Zwangskonfessionalisierte anzusehen, die aus beruflichen oder sozialen Gründen Kirchenmitglieder bleiben müssen.

Einige der Befragten sind der säkularen Szene zuzurechnen, d.h. sie sind in irgendeiner Form in einer der religionskritischen Vereinigungen wie der Giordano-Bruno-Stiftung, dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und AtheistInnen (IBKA), dem Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) oder dem Bund für Geistesfreiheit (BR) organisiert und aktiv. Die meisten Befragten sind jedoch einfach Privatmenschen, die sich zwar als kirchen- und/oder religionskritisch, als atheistisch, agnostisch und/oder humanistisch bezeichnen, aber dieses Faktum selbst nicht als so wichtig ansehen, dass sie sich in diesem Bereich engagieren würden.

Einige der Befragten (9 von 70) wollten anonym bleiben, weil sie berufliche oder soziale Nachteile fürchteten.

Für das Projekt hatte ich zunächst geplant, bestimmte Prominente zu befragen, von denen aus verschiedenen Kanälen bekannt ist bzw. vermutet wird, dass sie areligiös sind. Denn wenn Prominente sich als areligiös outen würden, hätte dies wahrscheinlich eine größere Beispielwirkung als bei "normalen" Sterblichen. Einige Prominente entpuppten sich dann doch als religiös, die anderen gaben in der Mehrzahl an, "keine Zeit" für ein Interview zu haben oder reagierten erst gar nicht. Zum Glück waren einige doch zum Interview bereit - es handelt sich überwiegend um Prominente, die bereits mit religionskritischen Äußerungen an die Öffentlichkeit gegangen waren, wie z.B. der Kinderbuchautor Janosch, der Comiczeichner Ralf König, der Urmel-Schöpfer und Kulturhistoriker Max Kruse und Mina Ahadi, die mittlerweile Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime ist, sowie die Schriftstellerin Esther Vilar und die Schauspielerin Nina Vorbrodt.

Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle einige Befragte kurz vorstellen:

Zu Atheisten wurden viele Befragte, indem sie Widersprüche in der Religion oder zwischen den Welterklärungen der Religion und wissenschaftlichen Erklärungen bemerkten und diesen nachgingen. Für viele gab es einen Anlass, sich mit dem Thema Religion zu befassen, so auch dir Hans-Georg Rüter, einen Schulleiter.

Einige haben verschiedene Glaubensrichtungen ausprobiert - oder dieselbe mehrmals. Christian Langenbach ist zweimal aus Glaubensrichtungen ausgetreten, hat sich intensiv mit unterschiedlichen Religionen beschäftigt, war Missionar, hörte die Stimme Gottes und hat trotz der Erfahrungen von Liebe und Geborgenheit im Glauben einen schmerzhaften Abschied von jeglicher Religion genommen, um schließlich Atheist und Humanist zu werden.

Der Biologie-Promovend Tobias Fromme beschreibt, wie er durchaus positive Erfahrungen mit der Kirche gemacht und sich trotzdem davon distanziert hat.

Nachdem eine Postkarte Janoschs, "Die Taufe", in der Trierer Konstantin-Ausstellung "Kunst und Provokation" gezeigt wurde, auf dem einem Baby ein Kreuz in den Bauch getrieben wird, stellte der CSU-Vorsitzende Stoiber entgeistert fest: Janosch hat sich vom Glauben verabschiedet. Dies geschah auf Grund von schmerzhaften Erlebnissen mit dem Klerus in seiner Kindheit und Jugend.

Nach anfänglich positiven Erfahrungen mit dem Glauben kam Irene Nickel in ihrer Jugend mit den dunklen Seiten des christlichen Gottes in Kontakt, stellte fest, wie sehr der Einfluss der Religion sie in ihrer Lebensführung behinderte, und sie entfernte sich immer mehr, bis sie aktive Atheistin wurde.

Schon als Kind fielen dem Luxemburger Pierre Wallendorf die Widersprüche zwischen Predigt und Handeln der Kirchenvertreter auf und er begann zu zweifeln, um schließlich zum Atheisten mit spirituellem Einschlag zu werden.

Einige Befragte waren sehr lange - jahrzehntelang - religiös, bevor sie durch ein Buch oder ein Interview in Kontakt mit anderen Weltanschauungen kamen. Der Ablösungsprozess war häufig sehr schmerzhaft, vor allem weil die "vertane Zeit" bedauert und betrauert wurde. So erging es auch Ruth Hofbauer, die mit 65 Jahren ihren Glauben endgültig aufgab.

Von Haus aus wenig mit dem Glauben konfrontiert, hat der Gymnasiast Luca Blumenthal nur in der Schule direkte Erfahrungen mit Religion gemacht. Widersprüche und Lügen sowie Informationen brachten ihn mit 14 Jahren zur Religionskritik, mit 16 wurde er zum Atheisten.

Fazit: Das Spektrum der Erfahrungen mit Religion ist sehr groß. Die Erfahrungen scheinen - wenn sie unangenehm sind - schon Kinder und Jugendliche abzuschrecken. Positive Erfahrungen mit Religion werden naturwissenschaftlichen Erklärungen gegenübergestellt, und bei diesem Wettbewerb der Welterklärungskonzepte verliert die Religion. Wer sehr gläubig war, leidet häufig unter dem Verlust einer wichtigen Lebensstütze und braucht mitunter Jahre oder gar Jahrzehnte, um sich vom Glauben endgültig zu verabschieden. Viele ärgern sich über den Einfluss der Kirchen auf unser aller Leben - manche treibt diese Erkenntnis in den Widerstand gegen Religion und Kirche. Auch das Sexualleben, die Körperlichkeit, ist nach wie vor von kirchlich-religiösen Moralvorstellungen geprägt und viele berichten von ihrer Erleichterung, vom vereinfachten Umgang mit dem anderen Geschlecht bzw. der Selbstakzeptanz ihrer Homosexualität, als sie sich endlich von der restriktiven religiösen Sexualmoral befreit hatten.


Fiona Lorenz ist Vorsitzende des Humanistischen Verbandes Rheinland-Pfalz.

"Wozu brauche ich einen Gott!? - Gespräche mit Abtrünnigen und Ungläubigen", illustriert von Ralf König, wird voraussichtlich im Januar 2009 bei Rowohlt erscheinen. 190 Seiten, 8,95 Euro


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 84/September/08, S. 22-23
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2008