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VEGETARIERBUND/346: Arche Noah für Nutztiere (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 02/09 - Frühling 2009
Das VEBU Magazin

Arche Noah für Nutztiere

Von Volker Stahl


Todgeweihte Hunde, ausgesetzte Katzen, blinde Pferde oder halberfrorene Leguane finden bei Barbara Deppe ein neues Zuhause. Auf dem Hagelhof im niedersächsischen Löningen leben 500 Tiere, die keiner mehr haben will.


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Rudi Fleck ist ein typischer Bewohner des Tierasyls. Ein Hamburger Ehepaar mit einem kleinen Hof hatte sich das süße Hängebauchschwein angeschafft - ohne einen Gedanken an artgerechte Haltung zu verschwenden. Aus dem kleinen Ferkel Rudi ist bald der 100 Kilo schwere Eber Rudolf geworden. "Er war nicht kastriert und begann, die Leute anzugreifen", erzählt Barbara Deppe (43), "schließlich hat Rudolf ein Pony adoptiert und keinen mehr an seinen Schützling herangelassen." Ein Fall für den Hagelhof. Die Tierschützerin ließ das großstadtgeschädigte Tier kastrieren und steckte es in das Schweinegehege: "Dort wurde Rudi schnell resozialisiert."

Der Hagelhof ist ein alter Bauernhof zwischen Cloppenburg und Meppen, den die gelernte Tierarzthelferin vor 13 Jahren mit dem Geld ihrer Eltern ("mein vorzeitig ausgezahltes Erbe") erworben hat. Das Gehöft ist so etwas wie eine Arche Noah für Nutztiere. Ausgerechnet in dieser Region: Hier stehen sonst überall Mastbetriebe und Legebatterien. "Gülleland pur. Im Sommer kann man hinfahren, wohin man will - im Oldenburger Münsterland stinkt es überall zum Himmel", sagt ein Bewohner dieses Landstrichs, der lieber anonym bleiben möchte.

Die zierliche Betreiberin des Gnadenhofes gilt im Landkreis Cloppenburg als Exotin. "Menschen, die Tiere als Ware betrachten", weiß Deppe, "finden das, was ich mache, leicht verrückt." Es gebe aber auch vor Ort einige Menschen, die ihr Engagement unterstützen. Sylvia Schwinge zum Beispiel. Die Nachbarin ist Mitglied im gemeinnützigen Hagelhof e.V. und gestaltet ehrenamtlich die Homepage.

Zurzeit leben mehr als 500 Tiere auf dem sieben Hektar großen Gelände und in dem alten Bauernhaus, das die Tierschützerin zusammen mit ihrer jüngeren Tochter Ylva, einem Dutzend Katzen und zahlreichen exotischen Tieren bewohnt. Die meisten Tiere - darunter Schafe, Straußenvögel, Schlangen und Vogelspinnen - haben einen Namen. Der Nandu heißt Gigi, die 38-jährige Oma-Stute Melissa und das Krokodil Herr Schmidt. Nur Meerschweinchen, Hühner und Kaninchen sind nicht "getauft".

Im Garten vor dem Haus leben Enten, Gänse und Schildkröten in friedlicher Koexistenz. Einen Steinwurf vom 75 Quadratmeter großen Krokodil-Haus entfernt grasen Schafe, gurren Tauben und spreizen Pfauen ihr prachtvolles Gefieder. Nebenan wiehert der blinde Wallach Silas auf der Weide. Sekunden später trottet Paula (9) um die Ecke. Die anhängliche Ziege stammt aus einem Zirkusbetrieb, wo sie nach der Geburt ins Stroh geworfen wurde und später an die Löwen verfüttert werden sollte. "Ich bin ihre Mama", sagt Barbara Deppe, die das Tier mit der Flasche aufgezogen hat. Besonders ans Herz gewachsen ist ihr die Gans Waltraut, mit der sie seit 24 Jahren zusammenlebt.

Trauriger ist die Geschichte, die die Betreiberin des hierzulande beispiellosen Tierasyls von der Schäferhündin Asta (15) zu erzählen hat: "Sie vegetierte in einem Zwinger, leidet unter Arthrose und benötigt viele Medikamente." Als dem Besitzer die Tierarztrechnungen zu teuer wurden, wollte er Asta einschläfern lassen. Der Doktor griff zum Telefonhörer, und die barmherzige Barbara hatte eine neue Bewohnerin auf ihrem Hagelhof, wo derzeit zehn Hunde und 30 Katzen leben oder auf ein neues Herrchen oder Frauchen warten - viele vergebens.

Die Versorgung der Tiere kostet viel Zeit und Geld. "Weil immer mehr Dauerspender abspringen, leben wir von der Hand in den Mund", klagt Barbara Deppe. 3000 bis 4000 Euro monatlich, darunter 800 Euro Heizkosten, benötigt sie zur Grundfinanzierung. Die wird zurzeit von 250 Spendern getragen. Als 2005 ein insolvent gegangener Tierschutzverein seine monatlichen Zahlungen von 1500 Euro schlagartig einstellte, drohte der Hof unterzugehen. Erst der medienwirksame Einzug der ausrangierten Tiere des "Big-Brother"-Dorfes Anfang 2006 rettete den Hagelhof. Neue Spender kamen hinzu. Ans Aufgeben hat die zweifache Mutter und 500-fache Adoptivmama aber nie gedacht: "Ich verstehe mich als Lebewesenschützerin."

Barbara Deppe ist seit 25 Jahren Vegetarierin. Aus ethischen Gründen beschloss sie mit 18, kein Fleisch mehr zu essen: "Ich wollte die Massentierhaltung nicht mehr unterstützen." In dieser Zeit wuchs auch der Wunsch in ihr, irgendwann einen Gnadenhof zu gründen. "Ich wollte Tiere, die für den Teller bestimmt waren oder die keiner mehr haben wollte, aufnehmen." Die Tiere sollten um ihrer selbst Willen leben. "Schweine, Rinder, Gänse oder Enten haben in unserer Gesellschaft keine Lebensberechtigung." Die Bezeichnungen "dummes Huhn, dumme Gans" beinhalte ja bereits die Geringschätzung, sagt Deppe, "dabei sind sie charakterlich sehr unterschiedlich."

1995 kam sie mit 30 Tieren aus dem 200 Kilometer entfernten Ruhrpott, wo sie vor 24 Jahren die heute noch existierende Tierhilfe Bochum e.V. gegründet hatte. Im Lauf der Zeit wurden es immer mehr Hilfsbedürftige. Mal brachte jemand ein aus einem Mastbetrieb befreites Schwein vorbei, mal ein ausrangiertes Reitpferd." Viele Tiere kommen hierher, um zu sterben."

Morgens um 6.30 Uhr steht Barbara Deppe auf. Im Sommer endet ihr arbeitsreicher Tag um 23 Uhr, im Winter drei Stunden früher. Ihr eigenes Leben und das ihrer Töchter finanziert sie mit Unterhaltszahlungen ihres Ex-Mannes und einem Teilzeitjob als Tierarzthelferin: "In dieser Zeit vertritt mich Ylva." Doch die 16-Jährige kann sich nicht vorstellen, den Hof später zu übernehmen. "Nach dem Abitur bin ich weg hier", sagt sie. Ihre Schwester Thora (18), die gerade zu Besuch ist, ist schon ausgezogen. Einschlägig vorgeprägt sind die beiden Teenager dennoch: Thora hat seit ihrem sechsten, Ylva seit ihrem vierten Lebensjahr keinen Bissen Fleisch mehr herunterbekommen. Verboten hat die Mutter das Fleischessen nicht. Beide Mädchen haben ihre Entscheidung selbst getroffen. "Erst streicheln, dann essen - das geht einfach nicht", sagt Thora.

© Volker Stahl, 2009


Hagelhof eV.
Löninger Straße 29
49624 Löningen/Bunnen
Tel. 05434/92497 94
Internet: www.hagelhof.de
Spendenkonto:
Postbank Dortmund,
BLZ: 440 100 46,
Konto 23806746


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Quelle:
natürlich vegetarisch 02/09 - Frühling 2009, S. 10-11
60. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009