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VEGETARIERBUND/361: "Kalbfleisch essen? - Die sind doch noch so jung!" (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 01/10 - Winter 2010
Das VEBU Magazin

"Kalbfleisch essen? - Die sind doch noch so jung!"

Von Moritz Thies


Die Frage, wie lange Tiere in der Zucht leben, wie jung oder alt sie sind, wenn sie geschlachtet werden, spielt vor allem für Tierrechtler/innen eine wichtige Rolle. Dass dies jedoch auch für Fleischesser/innen von Interesse ist, musste ich erst vor kurzer Zeit feststellen, nämlich als ich vor ein paar Tagen mit einem Bekannten, einem bekennenden Fleischesser, einkaufen ging.

Es ging seinerseits gerade um die Wahl des richtigen Stückes toten Tieres, da staunte ich nicht schlecht, als er beim Schlendern durch die Thekengänge über die verschiedenen Geschmäcker der Fleischsorten sinnierte. "Kalbfleisch, hmm. Schade nur, dass die Kälber so früh geschlachtet werden. Das schmeckt so gut, aber so ein junges Tier zu töten finde ich moralisch nicht okay!" Ich wunderte mich über seinen plötzlichen und doch sehr partiellen Anfall von Moralempfinden und Empathie und nahm dies als Anlass, mal nachzuforschen. Denken viele Fleischesser/innen wirklich so? Und vor allem: Wie ist das denn überhaupt bei anderen Zuchttieren? Wie lange leben diese, bevor sie zum Opfer menschlicher Fleischeslust werden?

Tatsächlich, ich sprach mit einigen Fleischesser/innen über ihre Fleischessgewohnheiten und die ihrer Bekannten und hörte erstaunlich oft von dem Verzicht auf Kalbfleisch aufgrund des Alters der Tiere. Dass der Verzehr anderer, vermeintlich älterer Tiere moralisch nicht vertretbarer ist, blenden Fleischesser/innen aus. Hinzu kommt: Andere "Nutztiere" werden nicht in höherem Alter geschlachtet! Im Gegenteil, kaum ein Tier, das für die Nahrungsmittelproduktion getötet wird, erreicht auch nur ein Sechstel seiner natürlichen Lebenserwartung. Kein Tier ist ausgewachsen, bevor es für den Fleischkonsum geschlachtet wird. Wie die Tabelle unten veranschaulicht, erreichen so genannte "Nutztiere" ein deutlich niedrigeres Alter als ihre in Freiheit lebenden Artgenossen. Hinzu kommen zahlreiche Qualen, die die Tiere bis zur Schlachtung über sich ergehen lassen müssen - Gefangenschaft in Käfigen und Ställen, Amputationen von Körperteilen, Mast, Überzüchtung etc. Ein Schwein, das eine natürliche Lebenserwartung von ca. 15 Jahren hat, erreicht als "Nutztier" gerade mal ein Alter von höchstens einem halben Jahr. Überträgt man diese Zahlen auf das verhältnismäßige Alter eines Menschen, muss man feststellen, dass Schweine mit circa drei Jahren, also im Kindergartenalter, geschlachtet werden. Die Lebenserwartung von Legehennen in Haltung beläuft sich auf maximal eineinhalb Jahre. Ihr natürliches Alter beträgt mindestens 20 Jahre. Männliche Küken werden bereits einige Stunden nach dem Schlupf aussortiert und vergast - vielerorts zum Teil lebendig verhäckselt. Würde der Mensch das Geschlecht der Küken schon vor dem Schlüpfen erkennen können, würde sich ihre Lebenszeit wohl gegen null verringern.

Dass Fleischesser/innen teilweise auf Kalbfleisch verzichten, basiert also auf einem Irrglauben. Auch alle anderen "Nutztiere", die auf dem Teller landen sollen, werden in einem sehr jungen Alter geschlachtet. Doch wie kommt es dann zu diesem Hauch "karnivorer" Moral? Vor allem wohl durch - ich nenne es einmal so - "Informationsfaulheit". Dass Kälber sehr jung sind, wenn sie geschlachtet werden, zeigt schon der Name. Um dies festzustellen, bedarf es keiner Recherche oder Ähnlichem. Fleischesser/innen geben sich mit diesem kleinen Teil der ganzen Wahrheit über Fleischkonsum und Produktion zufrieden, weil die eventuelle Erkenntnis, dass alle Tiere sehr früh oder sogar zu Unrecht geschlachtet werden, gar nicht das Ziel sein kann. Nach dem Motto "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!" wird das Weltbild eines legitimen Fleischkonsums gesichert. Denn wer sich schon einmal ernsthaft mit Schlachtung, Haltung und allem, was mit dem Produkt "Fleisch" einhergeht, auseinandergesetzt hat, weiß: So einfach kommt man an dem Bild des blutenden Schweins nicht mehr vorbei, wenn man sein Schnitzel isst. Vielmehr dient der Verzicht auf Kalbfleisch wohl der minimalen Befriedigung eines doch existierenden Moralbedürfnisses. "Fleisch essen, aber moralisch vertretbar", lautet dann die verquere Formel dieser Fleischesser/innen.


Zum Weiterlesen:
"Tierschutz konsequent"
Broschüre des VEBU

www.tierschutzaktiv.at/tatsachen/massentierhaltung/default.aspx


Lebenserwartung der Tiere
Tier

Lebenserwartung
in Freiheit
Lebenserwartung
in Haltung
entsprechendes Alter
beim Mensch(*):
Kaninchen
Schwein
Truthahn
Legehenne
Legehennen-
küken (m)
Masthuhn
Schaf
Fleischrind
Milchkuh
Gans
10 Jahre      
15 Jahre      
15 Jahre      
20 Jahre      
20 Jahre      
20 Jahre      
20 Jahre      
30 Jahre      
30 Jahre      
30-40 Jahre   
10-12 Wochen   
6 Monate       
2-3 Wochen     
1,5 Jahre      
maximal einige
Stunden 5-6 Wochen     
maximal 6 Monate
maximal 2 Jahre  4-5 Jahre      
einige Monate
2 Jahre (Krabbelgruppe)
2,7 Jahre              
2,1 Jahre              
6 Jahre (1. Klasse)    
einige Tage

halbes Jahr 2 Jahre                
5,3 Jahre (Kindergarten)
13,3 Jahre (7. Klasse) 
dreiviertel Jahr

(*) auf die durchschnittliche Lebenserwartung des Menschen von 80 Jahren hoch gerechnet

Die wohl größte Differenz zwischen natürlicher Lebenserwartung und der in Haltung lässt sich bei Gänsen ausmachen. Während diese in Freiheit durchschnittlich etwa 30 bis 40 Jahre alt werden, endet ihr Leben in der Zucht spätestens nach ein paar Monaten.


*


Quelle:
natürlich vegetarisch 01/10 - Winter 2010, S. 18-19
61. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2010