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VEGETARIERBUND/362: Der Schlüssel zur Rettung des Planeten (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 03/10 - Sommer 2010
Das VEBU Magazin

Der Schlüssel zur Rettung des Planeten
Ernährungsexperte Dr. Markus Keller über die zweite Auflage
des Buches "Vegetarische Ernährung", Lebensmittelpyramiden
und den Schutz der Erde

Von Elisabeth Burrer


FRAGE: Markus, du bist Ernährungswissenschaftler, Buchautor und arbeitest seit vielen Jahren mit Prof. Dr. Claus Leitzmann zusammen. Wo setzt du deine Arbeitsschwerpunkte?

MARKUS KELLER: Meine wissenschaftliche Tätigkeit konzentriert sich vor allem auf die Themen Vegetarismus, alternative Ernährungsformen und nachhaltige Ernährung. Dabei interessieren mich nicht nur ernährungswissenschaftliche Fragen, sondern auch historische, gesellschaftliche und ökologische Aspekte. Insbesondere der Zusammenhang zwischen unserer Ernährung und dem Klimawandel ist ein spannendes und äußerst wichtiges Thema, das endlich mehr Beachtung findet. Dazu will ich beitragen.

FRAGE: Hat dein Entschluss, dich vegetarisch zu ernähren, zu deinem heutigen Interesse an Ernährungswissenschaften geführt?

MARKUS KELLER: Nicht sofort. Während meines Zivildienstes hatte ich zuerst vor, ökologischen Landbau zu studieren. Dann kam ich aber zu der Erkenntnis, dass ein Ernährungswissenschaftler sicher mehr Menschen von den Vorteilen einer vegetarischen Lebensweise überzeugen könnte als ein Bio-Bauer. Zudem wollte ich den Dingen, in diesem Fall den ernährungsphysiologischen Zusammenhängen, auf den Grund gehen.

FRAGE: Vor kurzem ist die zweite Auflage des Buches "Vegetarische Ernährung", eine Co-Produktion von Prof. Dr. Leitzmann und dir, erschienen. Braucht man eine Zweitauflage?

MARKUS KELLER: Seit dem Erscheinen der ersten Auflage - an der ich nicht beteiligt war - sind fast fünfzehn Jahre vergangen. Mittlerweile wurden hunderte neue wissenschaftliche Studien zur vegetarischen Ernährung veröffentlicht. Während früher vor allem der Frage nachgegangen wurde, ob denn mit einer vegetarischen Ernährung überhaupt eine ausreichende Nährstoffzufuhr möglich sei, steht heute das präventive Potenzial pflanzlich orientierter Kostformen im Mittelpunkt.

FRAGE: Worin liegen die Hauptunterschiede der zweiten Auflage zur ersten?

MARKUS KELLER: Besonders ausführlich werden die Zusammenhänge zwischen vegetarischer Ernährung und dem Schutz vor Zivilisationskrankheiten dargestellt. Die für Vegetarier/innen und Veganer/innen besonders wichtigen potenziell kritischen Nährstoffe werden in einem eigenen Kapitel intensiv besprochen und das historische Kapitel ist deutlich erweitert worden. Neu hinzu gekommen ist ein Kapitel zu Ernährung und Klimaschutz und, als Weltpremiere, die eigens entworfene Gießener vegetarische Lebensmittelpyramide.

FRAGE: Das klingt, als seist du mit dem Ergebnis zufrieden.

MARKUS KELLER: Sehr zufrieden! Während der letzten drei Jahre, in denen das Buch entstanden ist, habe ich mich oft gefragt, ob beim Erscheinen des Buches nicht nur Prof. Leitzmann, sondern auch ich im Ruhestand sein werden (grinst). Als ich dann aber das erste gedruckte Exemplar unseres neuen Buches in der Hand hatte, wusste ich: Die viele Arbeit hat sich gelohnt!

FRAGE: Seit nicht allzu langer Zeit bist du Mitglied unseres wissenschaftlichen Beirats, worüber wir uns sehr freuen. Für welche wissenschaftlichen Fragen bist du der richtige Ansprechpartner?

MARKUS KELLER: Ich kümmere mich vor allem um Fragen der Nährstoffversorgung, insbesondere bei den potenziell kritischen Vitaminen und Mineralstoffen, wie Vitamin B12, Eisen, Vitamin D und Jod.

FRAGE: Ab dieser Ausgabe wird eine Serie über Nährstoffe und Krankheiten aus dem neuen Buch in der "natürlich vegetarisch" erscheinen. Welche Vorteile können die Leser/innen daraus gewinnen?

MARKUS KELLER: Die Leser/innen erhalten einen Überblick über die Zusammenhänge zwischen (vegetarischer) Ernährung und der Entstehung von chronischen Erkrankungen bzw. der Nährstoffversorgung. Die Beiträge sollen aber auch dafür sensibilisieren, die eigene Ernährung kritisch zu hinterfragen und bei Bedarf zu optimieren; dabei kann auch eine Beratung sinnvoll sein. Detaillierte Informationen, auch die umfangreichen Quellenangaben, finden sich dann in unserem Buch.

FRAGE: Vegetarische Ernährung ist nicht nur krankheitsvorbeugend, sondern auch richtig lecker! Achtest du als Ernährungswissenschaftler besonders darauf, was du isst?

MARKUS KELLER: Klar, nur Rohkost und Körnerfutter! (lacht). Nein, im Ernst, ich setze das, was ich empfehle, auch weitgehend um. Ich kaufe fast ausschließlich Bio-Produkte, möglichst regional und saisonal, und vermeide Lebensmittel, die mit dem Flugzeug angereist sind. Da mein Büro zuhause ist, koche ich fast jeden Mittag frisch und nehme mir fürs Kochen und Essen ausreichend Zeit.

FRAGE: Seit Ende 2009 gibt es das von dir gegründete und geleitete "Institut für alternative und nachhaltige Ernährung" (IFANE). Was kann man sich darunter vorstellen?

MARKUS KELLER: Im Institut befassen wir uns mit den Themen Vegetarismus, alternative Ernährungsformen und nachhaltige Ernährung aus ernährungswissenschaftlicher und ernährungsökologischer Sicht. Als unabhängiges Forschung- und Beratungsinstitut setzt sich das IFANE für die wissenschaftlich begründete Konzeption einer gesundheitsfördernden und nachhaltigen Ernährung und deren Verbreitung in der Gesellschaft ein.

FRAGE: Mit welchem Thema beschäftigt sich das Institut im Augenblick?

MARKUS KELLER: Vor kurzem haben wir eine Studie für den Bundesverband der Verbraucherzentralen zum Thema Flugimporte von Lebensmitteln nach Deutschland abgeschlossen, denn eingeflogene Lebensmittel belasten die Klimabilanz besonders stark. Verschiedene Projekte sind in Vorbereitung, beispielsweise eine Untersuchung für den VEBU zum Thema "Welternährung und veganer Landbau", sowie eine Studie die untersuchen soll, wie viele Kosten unser Gesundheitssystem jährlich einsparen könnte, wenn sich die Bevölkerung einen Tag pro Woche oder gar komplett vegetarisch ernähren würde.

FRAGE: Ab und zu kann man dir auch bei Vorträgen zuhören. Was möchtest du deinen Zuhörer/innen primär vermitteln?

MARKUS KELLER: Den (Noch-)Nichtvegetarier/innen möchte ich zeigen, welche Vorteile eine gut praktizierte vegetarische Ernährung für die eigene Gesundheit und für den Klimaschutz hat und welche neuen kulinarischen Möglichkeiten sich ohne Fleisch, Fisch und Milchprodukte eröffnen. Das Ganze aber ohne erhobenen Zeigefinger, denn jeder, der vorerst nur einen Tag pro Woche fleischlos lebt, geht einen Schritt in die richtige Richtung. Vegetarisch und vegan lebende Menschen möchte ich darin bestärken, ihre Ernährungsweise beizubehalten und, wo nötig, zu verbessern.

FRAGE: Noch mal zurück zu eurem Buch. Wie du bereits erwähnt hast, taucht in der Zweitauflage erstmals die neue Gießener Lebensmittelpyramide auf. Was stimmt mit der Aufteilung anderer Lebensmittelpyramiden nicht (mehr)?

MARKUS KELLER: Als erste deutsche vegetarische Lebensmittelpyramide richtet sich die Gießener Pyramide, wissenschaftlich begründet, sowohl an Lakto-Ovo-Vegetarier/innen als auch Veganer/innen. Dabei haben wir die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine gesundheitsfördernde vegetarische Lebensmittelauswahl zugrunde gelegt. Es geht also nicht nur um eine ausreichende Nährstoffzufuhr, sondern um den bestmöglichen Schutz vor chronischen Krankheiten. Die wichtigste Veränderung zu bestehenden vegetarischen Pyramiden ist, dass Wasser sowie Gemüse und Obst die Basis der Ernährung bilden. Wir müssen vor allem mehr Gemüse essen, denn ein hoher Gemüseverzehr senkt das Risiko für Krankheiten wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedene Krebsarten besonders effektiv.

FRAGE: Was, glaubst du, würde sich ändern, wenn sich alle Menschen an dieser Einteilung orientieren würden?

MARKUS KELLER: In Deutschland würde die Rate tödlicher Herzinfarkte um 25 % sinken und die Zahl der Typ-2-Diabetiker würde sich halbieren. Der Pro-Kopf-Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase im Ernährungsbereich würde sich um etwa ein Drittel verringern, bei konsequent veganer Variante sogar um die Hälfte. Global gesehen wären die Auswirkungen natürlich noch wesentlich umfangreicher. So müsste weltweit kein Mensch mehr verhungern, wenn das als Futtermittel eingesparte Getreide direkt für die menschliche Ernährung genutzt würde. Kurz gesagt: Unsere Pyramide ist der Schlüssel zur Rettung des Planeten (grinst). Nein, natürlich können nicht alle Probleme der Welt mit vegetarischer Ernährung gelöst werden, aber ziemlich viele.

Weitere Informationen zum "Institut für alternative und nachhaltige Ernährung" finden Sie unter www.ifane.org.


Seminar mit Dr. Markus Keller
im Rahmen des UGB-Symposiums 2010
(24.-26.09.) in 34549 Edertal-Bringhausen:
Sonntag, 26. September 2010
"Vegetarismus - Pro & Kontra"
Informationen und Anmeldung:
UGB e.V.
35435 Wettenberg/Gießen
Tel. 0641 80896-0
www.ugb.de


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Quelle:
natürlich vegetarisch 03/10 - Sommer 2010, S. 18+23
61. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2010