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VEGETARIERBUND/372: Vitamin B12 (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 02/11 - Frühling 2011
Das VEBU Magazin

Vitamin B12

Von Markus Keller
(unter Mitarbeit von Franka Schmidt)


Arten von Vitamin B12

Alle Cobalamine haben eine bestimmte Grundstruktur, das Corrin mit einem zentralen Kobaltatom. Vitamin B12 ist die einzige bekannte biologische Substanz, die das Spurenelement Kobalt enthält. Je nachdem, welche Moleküle an das Kobaltatom gebunden sind, unterscheidet man unter anderem die folgenden Cobalaminarten:

- Adenosyt-Cobalamin
- Methyl-Cobalamin
- Hydroxy-Cobalamin
- Aquo-Cobalamin
- Cyano-Cobalamin

Die ersten vier Cobalaminarten kommen natürlicherweise vor. Cyano-Cobalamin ist die synthetische Form, die in den meisten Vitamin-B12-Präparaten verwendet wird. Die eigentliche Vitamin-B12-Wirksamkeit entfalten Adenosyl- und Methyl-Cobalamin. Jedoch können die anderen genannten Cobalamine im Körper in die beiden aktiven Formen umgewandelt werden. Liegen weitere Veränderungen am Corringerüst vor, wie zusätzliche Seitenketten und fehlende Komponenten, handelt es sich um inaktive Vitamin-B12-Analoga.


Vitamin B12 wird auch Cobalamin genannt. Cobalamine können nur von Mikroorganismen (zum Beispiel Bakterien) gebildet werden. In manchen Lebensmitteln kommen ähnliche chemische Verbindungen vor, die als Analoga bezeichnet werden. Auch diese werden von Mikroorganismen gebildet, haben jedoch keine Vitaminfunktion für den Menschen.


Funktion und Aufnahme

Vitamin B12 ist im Körper an zwei biochemischen Reaktionen beteiligt: dem Abbau der Aminosäure Homocystein sowie der Umwandlung von Methylmalonsäure. Vereinfacht gesagt spielt Vitamin B12 dadurch eine wichtige Rolle bei der Zellteilung, der Blutbildung und der Funktion des Nervensystems. In vom Tier stammenden Lebensmitteln ist Vitamin B12 an Proteine gebunden. Aus diesen wird es im Magen unter Einwirkung der Magensäure herausgelöst. Nahrungsergänzungsmittel enthalten Cobalamin in freier Form. Damit das Vitamin anschließend vom Körper aufgenommen werden kann, muss es an den sogenannten "Intrinsic Factor" gebunden werden. Dabei handelt es sich um ein Protein, das in den Zellen der Magenschleimhaut gebildet wird. Die eigentliche Aufnahme findet dann im unteren Dünndarm statt. Wird Vitamin B12 in sehr großen Mengen zugeführt, kann es aufgrund der Konzentrationsunterschiede auch ohne die Bindung an den Intrinsic Factor über den Magen-Darm-Trakt ins Blut gelangen. Der menschliche Körper verfügt über Vitamin-B12-Speicher, die gefüllt eine Reservekapazität von drei bis fünf Jahren aufweisen.


Vorkommen und Bioverfügbarkeit

In den meisten tierischen Lebensmitteln ist Vitamin B12 reichlich enthalten (Tabelle 1). Das mögliche, sehr geringe Vorkommen in Wurzel- und Knollengemüse sowie vergorenen Lebensmitteln wie Bier, Sauerkraut und fermentierten Sojaprodukten reicht nicht aus, um einen signifikanten Beitrag zur Vitamin-B12-Versorgung zu leisten. Zudem sind die von einigen Herstellern sowie in der Laienpresse behaupteten angeblichen Vitamin-B12-Gehalte dieser Lebensmittel durchweg nicht belegt. Einzelne Meeresalgen, die traditionell in der asiatischen Küche verwendet werden (zum Beispiel Nori), sowie die Süßwasser-Mikroalge Chlorella weisen in einzelnen Untersuchungen erhebliche Vitamin-B12-Mengen auf. Über die tatsächliche Nutzbarkeit des enthaltenen Vitamin B12 für den Menschen liegen jedoch bisher keine Ernährungsstudien vor. Die meisten Nahrungsergänzungsmittel auf Algenbasis enthalten ausschließlich oder überwiegend Analoga ohne Vitaminwirksamkeit. Einige Lebensmittel werden mit Vitamin B12 angereichert. Dazu zählen verschiedene Sojaprodukte, Müsli und Cornflakes, Fruchtsäfte sowie Fleischersatzprodukte. Vegan lebende Menschen können mit diesen pflanzlichen Lebensmitteln, abhängig vom Vitamin-B12-Gehalt, ihre Cobalaminzufuhr verbessern. In Deutschland enthalten die angereicherten Produkte jedoch meist zu geringe Vitamin-B12-Mengen, um dadurch den Tagesbedarf vollständig zu decken.


Tabelle 1: Vitamin-B12-Gehalt verschiedener Lebensmittel

Lebensmittel
Vitamin B12
(μg/100 g)
Rinderleber
Rindfleisch
Rotbarsch
Camembert (30 % Fett i. Tr.)
Emmentaler (45 % Fett i. Tr.)
Frischkäse, körnig
Hühnerei
Brie (50% Fett i. Tr.)
Joghurt (3,5 % Fett Tr.)
Kuhmilch (3,5 % Fett i. Tr.)
65,0
5,0
3,8
3,1
3,0
2,0
1,9
1,7
0,4
0,4


Außerdem ist zu beachten, dass Bio-Produkte im Gegensatz zu konventionellen Produkten nicht mit Vitamin B12 angereichert werden dürfen. Vegane Lebensmittel aus ökologischer Erzeugung enthalten demnach kein Cobalamin. Zwar wird Vitamin B12 auch von Bakterien im menschlichen Dickdarm hergestellt. Da die Aufnahme jedoch in höheren Darmabschnitten, nämlich dem unteren Dünndarm, erfolgt, ist dieses "humane" Cobalamin nicht nutzbar und somit auch keine Vitamin-B12-Quelle.


Bedarf und Mangel

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 3 μg Vitamin B12. Ein Mangel an Cobalamin hat Störungen der Zellteilung im gesamten Organismus zur Folge. Betroffen sind vor allem Zellen, die rote Blutkörperchen bilden sowie Zellen der Mund- und Rachenschleimhäute und des Nervensystems. Typisches Symptom des Vitamin-B12-Mangels ist eine bestimmte Form der Blutarmut, bei der die roten Blutkörperchen abnorm vergrößert sind (megaloblastäre Anämie). Charakteristische Anzeichen sind blasse Haut und Schleimhäute, Rückbildungen der Mund-, Zungen- und Darmschleimhäute mit nachfolgender Beeinträchtigung der Nährstoffaufnahme sowie unspezifische Symptome wie allgemeine Schwäche, Ermüdbarkeit und Schwindel. Wesentlich schwerwiegender als die gestörte Blutbildung ist die zweite Symptomgruppe des Cobalaminmangels. Hier kommt es zu Schädigungen des zentralen Nervensystems, was sich in Sensibilitätsstörungen (zum Beispiel "Ameisenkribbeln" an Händen, Füßen und anderen Körperteilen), Appetitmangel, Schwäche von Reflexen und Bewegung, Störungen der Bewegungskoordination sowie psychiatrischen Störungen, wie Verwirrung, Halluzinationen, Gedächtnisstörungen bis hin zu Psychosen, äußern kann. Beide Symptomgruppen können unabhängig voneinander auftreten. Das Problematische bei einer Vitamin-B12-bedingten Blutarmut ist, dass sie durch eine hohe Zufuhr von Folat - etwa bei vegetarischer oder veganer Ernährung - verzögert oder "maskiert" werden kann, da beide Vitamine bei der Zellteilung zusammenwirken. Gleichzeitig schreiten aber die neurologischen Veränderungen fort, so dass es zu bleibenden Schäden am zentralen Nervensystem kommen kann. Eine Unterversorgung mit Vitamin B12 führt außerdem zu erhöhten Blutkonzentrationen an Homocystein, die einen Risikofaktor für die Entstehung von Atherosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellen. Im Alter bedingt ein Vitamin-B12-Mangel einen schnelleren Abfall der Gedächtnisleistungen und damit möglicherweise ein höheres Demenzrisiko. Ältere Menschen sind unabhängig von der Ernährungsweise häufiger von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen. Ursache ist meist eine chronische Gastritis (Magenschleimhautentzündung), die dazu führt, dass weniger Magensäure gebildet wird und somit Vitamin B12 nicht ausreichend aus den Nahrungsproteinen herausgelöst werden kann.


Bestimmung der Vitamin-B12-Versorgung

Aufgrund der großen Körperspeicher kann es Jahre dauern, bis sich klinische Symptome eines Vitamin-B12-Mangels zeigen. Der Versorgungszustand mit Vitamin B12 lässt sich jedoch frühzeitig anhand von Blutanalysen bestimmen. Dabei sollten verschiedene Messwerte des Cobalaminstoffwechsels, insbesondere das Holo-Transcobalamin II (Holo-TC), untersucht werden (Tabelle 2). Die alleinige Bestimmung des Vitamin-B12-Gehalts im Blut ist nicht geeignet, um den Versorgungszustand sicher zu beurteilen. Auch bei Personen mit Vitamin-B12-Spiegeln im unteren Referenzbereich (≥ 156-400 pmol/l) können klinische Zeichen eines Vitamin-B12-Mangels auftreten. Zudem kann auch bei normalen Vitamin-B12-Werten im Blut bereits in den Körperzellen ein funktioneller Vitamin-B12-Mangel vorliegen. Der früheste Indikator für einen Mangel sind erniedrigte Holo-TC-Werte. Dieses Transportprotein bindet Vitamin B12 und macht es den Körperzellen verfügbar.


Tabelle 2: Blutmarker zur Bestimmung der Vitamin-B12-Versorgung
Marker
Mangel bei
Holo-Transcobalamin II (Holo-TC)
Methylmalonylsäure (MMA)
Homocystein
< 35 pmol/l
> 271 nmol/l
> 12 μmol/l


Vitamin-B12-Versorgung bei Vegetarier/innen

Mit einer lakto-(ovo-)vegetarischen Ernährung kann ausreichend Vitamin B12 zugeführt werden. Vegetarier/innen nehmen mit durchschnittlich 1,7 bis 2,5 μg täglich jedoch deutlich weniger Cobalamin auf als Fleischesser/innen (5-7 μg pro Tag). Werden bei veganer Ernährung keine Nahrungsergänzungsmittel oder mit Vitamin B12 angereicherte Lebensmittel verwendet, liegt die rechnerische Vitamin-B12-Zufuhr bei 0 μg pro Tag. Entsprechend weisen Veganer/innen in vielen Studien eine unzureichende Vitamin-B12-Versorgung auf. Aber auch viele Lakto-(Ovo-)Vegetarier/innen sind nicht ausreichend mit Vitamin B12 versorgt. In einer Studie wiesen 65 % der lakto-(ovo-)vegetarisch und 83 % der vegan lebenden Teilnehmer/innen einen erheblichen Cobalaminmangel auf. Die Deutsche Vegan-Studie zeigte, dass mit zunehmender Dauer der veganen Ernährung die Blutkonzentrationen an Vitamin B12 kontinuierlich sanken. Entsprechend sollten Veganer/innen die ausreichende Zufuhr von Vitamin B12 über angereicherte Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel Tabletten oder Tropfen, sicherstellen. Schwangere und stillende Veganerinnen sollten besonders auf eine adäquate Zufuhr achten, um die Vitamin-B12-Versorgung ihrer Kinder zu sichern.


Fazit

Lakto-(Ovo-)Vegetarier/innen können ihren Bedarf an Vitamin B12 durch den Verzehr von Milch, Milchprodukten und Eiern decken.
Veganer/innen können mit herkömmlichen pflanzlichen Lebensmitteln keine ausreichende Zufuhr von Vitamin B12 erreichen.
Der Verzehr von fermentierten Produkten, Algen und Lebensmitteln, die mit Bodenbakterien kontaminiert sind, kann eine sichere Vitamin-B12-Versorgung nicht gewährleisten.
Zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Vitamin-B12-Zufuhr bei veganer Ernährung ist die regelmäßige Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln (und/oder angereicherten Lebensmitteln) notwendig.
Veganer/innen, aber auch Lakto-(Ovo-) Vegetarier/innen, sollten ihre Vitamin-B12-Versorgung regelmäßig untersuchen lassen.

Literaturhinweis:

"Vegetarische Ernährung" von Claus Leitzmann und Markus Keller
2. Aufl. 2010, ISBN 978-3-8252-1868-3, 22,90 Euro


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Quelle:
natürlich vegetarisch 02/11 - Frühling 2011, S. 34-36
62. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2011