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PRESSE/003: Vegetarisch und vegan essen (Securvital)


Securvital 4/21 - Oktober-Dezember 2021
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Ernährung
Vegetarisch und vegan essen

Die Frage nach den richtigen Essgewohnheiten beschäftigt immer mehr Menschen.
Lebhaft wird darüber debattiert, was gesund, fair, artgerecht und nachhaltig ist.

Von Astrid Froese


November ist Grünkohlzeit. Auch in den Mensen der Hochschulen. Wer die Essensausgabe in den vergangenen Jahren beobachtet hat, der konnte sehen, wie aus einer Schlange hungriger Studierender zwei wurden. Angeboten wird nämlich nicht mehr nur die traditionelle Variante mit Kassler und Pinkel, sondern auch eine vegetarische mit Veggie-Wurst. Und genau diese Schlange wird von Jahr zu Jahr länger.

Rund 6,5 bis 8 Millionen Deutsche bezeichnen sich laut Umfrage des Allensbach-Instituts als Vegetarier und essen kein Fleisch und keinen Fisch. Zwischen 1,1 und 2,6 Millionen leben laut aktuellen Studien vegan und verzichten damit gänzlich auf tierische Produkte wie Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Gelatine und Honig. Beide Gruppen werden immer größer, während die Zahl derer, die täglich Fleisch verzehren, abnimmt. Dabei sind es vor allem junge, gut gebildete Menschen, die sich laut Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse ohne Fleisch, Fisch und Meeresfrüchte ernähren.

Der Veggie-Style boomt. Neu eröffnende vegane Läden, Cafés und Restaurants vor allem in den Szenevierteln der Großstädte, eigene Supermarktketten oder der wachsende Markt mit Fleischersatzprodukten belegen es: Vegetarische und vegane Ernährung gewinnt in Deutschland an Bedeutung. Wurden Vegetarier und vor allem Veganer vor einigen Jahren noch als schräge Sonderlinge belächelt, hat die Debatte über die richtige Ernährung mittlerweile breite Teile der Gesellschaft erreicht. Vegetarische und vegane Burger bei Fastfood-Ketten wie McDonald's und Burger King? Selbstverständlich.


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Wer isst was?

Mischköstler, sogenannte Omnivoren, nehmen pflanzliche und tierische Nahrung zu sich. Flexitarier sind Menschen, die ihren Fleischkonsum bewusst reduzieren. Als geringen Fleischkonsum bezeichnet beispielsweise das Institut für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung der Universität Hannover weniger als durchschnittlich 50 Gramm am Tag. Ovo-Lacto-Vegetarier verzichten auf Fisch und Fleisch, nehmen aber Eier und Milchprodukte wie Käse und Joghurt zu sich. Pescetarier essen kein Fleisch, wohl aber Fisch. Vegetarier bezeichnet als Überbegriff sämtliche Ernährungsformen, die auf Fleisch und Wurstwaren verzichten. Veganer leben die strikteste Ernährungsform, indem sie sämtliche Lebensmittel tierischen Ursprungs ablehnen.
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Nein zur Agrarindustrie

Nach ihren Motiven befragt, nennen Vegetarier und Veganer vor allem den Wunsch nach mehr Tierschutz. Laut repräsentativen Studien verzichten Konsumenten nicht auf Fleisch, weil es ihnen nicht schmeckt oder weil sie den Verzehr für unnatürlich halten, sondern weil die industriellen Haltungs- und Schlachtbedingungen sie abstoßen. Zu groß das Leid der Tiere, zu unwürdig die Bedingungen für die Arbeitskräfte. Rund zwei Millionen Tiere werden pro Tag geschlachtet, darunter 1,7 Millionen Hühner, 151.000 Schweine und 94.000 Puten.

Doch auch der Klimaschutz und die Welternährungssituation spielen eine Rolle. Denn der hohe Wasser-, Futter-, Flächen- und Energieverbrauch der Fleischproduktion wird zu einem immer größeren Problem. Mit ihren gewaltigen Emissionen, Brandrodungen und Vergiftungen durch Pestizide und Dünger gehört die industrielle Landwirtschaft zu den größten Klimasündern. Würde die gesamte Menschheit auf Fleisch verzichten, der Umwelt wäre geholfen.

Vor diesem Hintergrund ist Essen keine Privatsache. Mit knapp 60 Kilo Fleisch pro Person und Jahr essen die Deutschen rund zweieinhalbmal so viel Fleisch wie vor 60 Jahren. Zum Vergleich: Im vegetarisch geprägten Indien sind es circa 4 Kilo. "Essen ist eine globale Angelegenheit. Die eigene Ernährungsweise wirkt sich nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf die Umwelt und andere Menschen weltweit aus", sagt Markus Keller, Ernährungswissenschaftler und Gründer des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE) in Gießen.

Inwieweit die natürlichen Ressourcen ausreichen, die wachsende Weltbevölkerung künftig zu ernähren, darüber sind selbst Experten uneins. Skeptiker fürchten, dass der geschätzte Bevölkerungsanstieg auf 9 bis 10 Milliarden Menschen bis 2050 zu Lebensmittelknappheit führen könnte. Hingegen nennt die Welternährungsorganisation FAO die Zahl von 12 Milliarden Menschen, deren Bedarf bei gerechter Verteilung mit der heute produzierten Menge an Nahrung zu decken wäre. Faktoren wie Landerosion, der Rückgang der Biodiversität und die globale Erderwärmung dürften die Situation jedoch erschweren.

Gesundheitliche Risiken

Zu den ethischen und ökologischen Motiven kommen gesundheitliche Bedenken. Auch wenn Ernährungsstudien vergleichsweise schwer durchzuführen sind, da sich viele Effekte erst über Jahre hinweg zeigen und eine eindeutige Kontrollgruppe meist fehlt, so deutet vieles darauf hin, dass übermäßiger Konsum von rotem Fleisch einen hohen Blutdruck, einen erhöhten Cholesterinspiegel sowie ein erhöhtes Herzinfarktrisiko zur Folge hat. Auch Diabetes Typ 2 und Darmkrebs sollen begünstigt werden. Da viele Tiere im Rahmen der industriellen Haltung dem massiven Einsatz von Antibiotika und Medikamenten ausgesetzt sind, besteht die Gefahr, über ihren Verzehr Antibiotikaresistenzen zu entwickeln. Dies kann zur Folge haben, dass selbst harmlose bakterielle Infektionen nicht behandelt werden können und zum Tode führen.

Das neue Ernährungsbewusstsein hat auch die Wirtschaft beobachtet - und prompt reagiert. Noch vor Großbritannien und den USA ist Deutschland der weltweit führende Markt für Einführungen veganer Nahrungsmittel und Getränke. Und selbst ein traditionsreiches Familienunternehmen wie die Rügenwalder Mühle verbuchte 2020 erstmals mehr Umsatz mit veganen und vegetarischen Fleischalternativen als mit klassischem Aufschnitt. Soja-Brotaufstriche und Bratlinge, Seitan-Schnitzel oder Tofu: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts erhöhte sich der Wert vegetarischer Lebensmittel 2020 auf 374,9 Millionen Euro. Ein stattlicher Betrag, aber immer noch nur ein Bruchteil im Vergleich zur herkömmlichen Fleischproduktion, deren Wert 2020 mit gut 38 Milliarden Euro beim mehr als Hundertfachen lag. Der überwiegende Teil der Deutschen isst also nach wie vor regelmäßig Fleisch.

Zu viel Fleisch

Mit mehr Gemüse, Mineralwasser, Kräuter- und Früchtetees, weniger Schweinefleisch und Alkohol haben sich die Deutschen in Teilen zwar gesünder ernährt, wie Trendanalysen zum Lebensmittelverbrauch ergeben. Doch der jüngste Bericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zeigt auch: "Die Rückgänge beim Verbrauch von Obst, Getreideerzeugnissen und frischen Kartoffeln sowie die Anstiege bei Käse, Rind-, Kalb- und Geflügelfleisch stehen in Widerspruch zu einer pflanzenbetonten Ernährung, wie sie die DGE in ihren 10 Regeln für eine vollwertige Ernährung empfiehlt", sagt Prof. Kurt Gedrich von der TU München. "Damit wir das Ziel einer pflanzenbasierten Ernährungsweise erreichen können", so Gedrich, "muss der Verbrauch von Gemüse inklusive Hülsenfrüchten, Obst, Getreide, Kartoffeln und Nüssen noch deutlich steigen und der Verbrauch von tierischen Lebensmitteln stark sinken."

Wie wichtig die Ernährung für das Wohlbefinden des Menschen ist, ist lange bekannt. Und so haben der Frage, ob und wie viel Fleisch gegessen werden sollte, auch die Zweige der Traditionellen Medizin von jeher eine große Bedeutung beigemessen. Etwa indem sie Fleisch als stärkende Gabe bei bestimmten Mangelzuständen empfehlen wie die Traditionelle Chinesische Medizin oder tierische Produkte als eine Art Medizin zulassen wie im vegetarisch geprägten indischen Ayurveda.

Für eine gesunde Ernährung kommt es vor allem auf den bewussten Umgang mit Lebensmitteln an. Nahrung soll den Energiebedarf des Körpers decken und ihn mit den essenziellen Substanzen versorgen. Die meisten Experten empfehlen dafür zwar eine pflanzenbetonte Ernährung mit wenig Fleisch und Fisch. Es gibt aber auch gute Gründe für die vegetarische oder vegane Lebensweise.

Wer sich dafür entscheidet, sollte sich informieren und vor allem seine Versorgung mit allen lebenswichtigen Nährstoffen im Blick behalten. Besonders die Vitamine D und B12 kommen nahezu ausschließlich in Tierprodukten vor. Auch ein potenzieller Jod-, Kalzium- oder Eisenmangel stellt ein Risiko veganer Ernährung dar - was nicht heißt, dass nicht auch Menschen, die Fleisch essen, einen Nährstoffmangel aufweisen können. Im Gegenteil: Wie die von der DGE vorgestellte "Vegetarian and Vegan Children and Youth Study" (kurz: VeChi-Youth-Studie) zeigt, punkten gerade sich vegetarisch und vegan ernährende Jugendliche mit einem gesünderen Essverhalten, da sie weniger Süßwaren, Knabberartikel und Fertiggerichte zu sich nehmen. Gerade jüngere Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass einer vegetarischen Ernährung auch von Kindern und Jugendlichen nichts im Wege steht. Eine rein vegane Ernährung empfiehlt die DGE für diese Gruppen allerdings nicht - anders als mehrere internationale Fachgesellschaften, die eine gut geplante vegane Ernährung für alle Altersgruppen und Lebenssituationen für unbedenklich halten, inklusive Schwangerschaft und Stillzeit.

Individuelle Bedürfnisse

Gesunde Ernährung bedeutet, dem Körper alle wichtigen Stoffe zuzuführen und schädigende Substanzen zu meiden. Über die messbare Summe von Inhaltsstoffen hinaus spielen jedoch auch die persönlichen Bedürfnisse und Überzeugungen eine wichtige Rolle. Und die können von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Jenseits der vielfältigen Ernährungstrends gilt es also vor allem individuell herauszufinden, was sich für den eigenen Körper und das individuelle Wohlbefinden eignet.


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Tipps für eine fleischlose Ernährung

• Studien zeigen, dass eine fleischlose Ernährung zur Reduzierung von Übergewicht und Bluthochdruck beiträgt und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie bestimmte Krebserkrankungen senkt. Gleichzeitig gibt es Vitamine und Spurenelemente, die entweder nur in tierischen Lebensmitteln enthalten sind oder vom Körper aus ihnen besser aufgenommen werden.

• Lebensnotwendig ist das in Milch und Milchprodukten enthaltene Vitamin B12. Es findet sich auch in fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, sollte aber bei zu wenig natürlichen Quellen unbedingt als Nahrungsergänzungsmittel zugeführt werden.

• Jodsalz und jodsalzhaltige Lebensmittel wie Brot verbessern die wichtige Jodversorgung.

• Wer ab und zu einen Fruchtsaft zum Essen trinkt, Rohkost als Vorspeise oder einen Obstsalat als Dessert wählt, verbessert durch das enthaltene Vitamin C die Aufnahme von pflanzlichem Eisen, z. B. aus Vollkorngetreide.
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Quelle:
Securvital 4/21 - Oktober-Dezember 2021, Seite 6-10
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
Herausgeber: SECURVITA GmbH -
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Internet: www.securvita.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 5. Oktober 2021

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